Bitwig Studio 3 Test

The Grid ist DAS neue Feature in Bitwig Studio 3. Bisher gab es solche Modulationsbaukästen vor allem in eher komplizierten Umgebungen wie Reaktor oder MaxDSP, doch nun traut sich das Wunderkind Bitwig als erste DAW an die Thematik heran. Poly Grid und FX Grid sind die zwei Plugins, mit denen sich eigene Instrumente und Effekte kreieren lassen. 


Anfang des Jahres gab es das große Aufhorchen, denn es hieß: „Bitwig Studio 3 kommt!“ Pünktlich zur NAMM hatten die Berliner die dritte Version ihrer Modular-DAW angekündigt. Anders als bei den kleineren Updates, die seit der zweiten Version erschienen sind und bereits einzelne Funktionen verbessert oder neue Instrumente mitgebracht haben, ist man bei diesem Upgrade noch eine Ebene tiefer gegangen, was die Modulationsmöglichkeiten betrifft. Was bei teurer Hardware in den 60ern begann, in den 90ern mit Reaktor weitergeführt, anschließend (mit wachsender Fangemeinde) von MaxDSP aufgegriffen wurde und inzwischen mit dem VCVRack-Baukasten und einer riesigen Community fast schon zu einem neuen Genre wurde, wird nun erstmals als DAW realisiert.

Details

True Grid

The Grid (zu Deutsch: „das Raster“) ist nicht etwa ein neues Notensystem außerhalb von Sechzehnteln oder Triolen, sondern eine Umgebung, in der man mit wenigen Klicks eigene Instrumente und Audioeffekte aus über 150 Modulen bauen kann. Das Prinzip ist aus Reaktor und MaxDSP bereits hinlänglich bekannt: Meine Module machen meine Musik. Aus verschiedensten Arten von Klangerzeugern, Effekten, Dämpfern, Verstärkern und Summierern lassen sich die abgefahrensten Instrumente und Effekte bauen.

Das Preset „Gripped Beat“.
Audio Samples
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01. Cavernous Preset u202802. Dice in Control Preset 03. Future Retro DX Preset 04. Grid Arp Synth 1 Preset 05. Grid Supa Saw Preset 06. Gripped Beat Preset 07. PolyGrid Synth 1 Preset

Wie funktioniert The Grid?

Die zwei neuen Module – Poly Grid und FX Grid – funktionieren auf der Oberfläche prinzipiell wie jedes andere VSTi- oder VST-Plugin. Mit einem großen Unterschied: Man kann genau unter eben diese Oberfläche schauen. Szenario 1: Lieblingssynth A ist etwas schwach auf der Brust, was das Filter betrifft oder hat keine FM-Funktion. Bisher hatte man in so einem Fall nur die Wahl, sich einen neuen Synth zu suchen oder mit zusätzlichen Plugins mühsam eine Lösung zu finden. Ist dieses Instrument nun aber mit The Grid erzeugt worden, sind es lediglich drei Klicks und das entsprechende Modul ist hinzugefügt oder ausgetauscht. Als würde man in der Klampfe des Vertrauens mal eben ohne Saitenwechsel die Tonabnehmer tauschen können.

Fotostrecke: 2 Bilder Ladet ihr die Voreinstellung von FX Grid, bekommt ihr anfangs nur eine leere Oberflu00e4che mit Audioein- und ausgang..

We dream of Wires – Verkabeln in The Grid 

Viele Einsteigende der modularen Synthesizerwelt sind von den oft schrankwandgroßen Kabelwäldern, die mehr nach Raumschiff Orion als nach Instrument aussehen, abgeschreckt. Die Modular-Synth-Freeware VCV Rack ist am Anfang wie Reaktor oder MaxDSP mit einer nicht unbeträchtlichen Lernkurve verbunden. The Grid will das an vielen Stellen vereinfachen. Das Bitwig-Team hat sich sehr genaue Gedanken gemacht, welche „Verkabelungen“ bereits ohne händisch eingerichtet werden zu müssen vorhanden sind, wie sich Module tauschen oder in den Signalfluss einsetzen lassen und wie sich The Grid in die Modularität von Bitwig Studio möglichst nahtlos einfügt.

Fotostrecke: 3 Bilder Im Fx Grid Preset u201eTracking Ringu201c ist sehr gut zu sehen, wie alle unterschiedlichen Signalarten zum Einsatz kommen.

Die DAW hat vor allem unter Sounddesignern, Tüftlern und Modularsyntheseanhängern eine wachsende Fangemeinde. Und die wird ihre Freude haben. Neben gängigen Oszillatoren als Audioquelle gibt es Bitwigs Sampler (mit gleichem Namen „Sampler“) und den Sodftsynth „Phase 1“. Ein Kammfilter, das sich hervorragend im Sounddesign verwenden lässt, ist genauso dabei, wie die Möglichkeit, CV-Signale auf Modulebene zu generieren oder zu empfangen (die entsprechende Hardware vorausgesetzt). Signale lassen sich über unzählige mathematische und logische Module auf die wildeste Art und Weise kombinieren, dividieren, voneinander ausschließen, zufällig triggern oder ringmodulieren. Jeder Sounddesignerin wird dabei das Herz aufgehen, jeder Modularsynthese-Fan wird feuchte Augen bekommen.

Praxis

Auf der Oberfläche von The Grid findet man sich schnell zurecht: Poly Grid laden und öffnen, das Wichtigste ist schon verkabelt, ein erster Tastendruck erzeugt gleich einen Ton – einfach vorbildlich. Bei den sechzehn Kategorien macht man anfangs vielleicht erst einmal einen Bogen um „Maths“ oder „Logic“. Was ein „Divide“-Modul in einem Synthesizer soll, ist erst mal noch schleierhaft, aber bei den klassischen Oszillator-, Filter-, LFO- und Envelope-Kategorien sind ohnehin schon genug Spielzeuge dabei. Das Dividieren kommt dann später. Auf der anderen Seite sind diejenigen unter euch, die sich gerne im Kabelsalat ihrer Modularsynthesizer einkuscheln, mit den logischen und mathematischen Modulen bestens vertraut und finden auch hier schnell den Anschluss. Bitwig holt alle an Bord.

Die 16 Kategorien: Darüber lässt sich im kleinen Suchfeld auch nach den Modulen suchen.

Die unterschiedliche Einfärbung der Kabel und Modulein- und ausgänge hat System. Die Signalwege unterscheiden sich in ihren Wertebereichen und Polaritäten. Trigger-, Phasen-, Pitch- oder Audiosignale haben jeweils eine andere Färbung, je nachdem ob sie für den Ein- oder Ausgang eines Moduls bestimmt sind. Natürlich kann bei Bedarf die Farbe eines Moduls (und damit auch der Kabel) links im Infobereich geändert werden. Möchte man ein Modul mit einem ähnlichen austauschen, geht das am einfachsten mit einem Rechtsklick auf selbiges. Ein Kontextmenü öffnet sich, in dem alle vergleichbaren Module angezeigt werden.

Per Rechtsklick auf ein Modul öffnet sich ein Kontextmenü, in dem alle ähnlichen Module angezeigt werden. So könnt ihr Module schnell austauschen.

Auf der Superbooth zeigte Dave Linnenbank, der für Bitwig das Handbuch verfasst hat, in einer Präsentation von <i>The Grid</i>, wie viel bereits automatisch eingerichtet ist. Pitch-Tracking beispielsweise ist bei den Oszillatoren automatisch aktiviert. Ohne dieses wäre eine Tonhöhenveränderung bei unterschiedlichen MIDI-Noten nicht hörbar, man müsste erst mühsam die richtigen Module finden, könnte nicht losspielen. Bitwig spricht von sogenannten Pre-Cords (Vorkabeln), die „kabellos“ mit einem sonst händisch einzufügenden Modul verbunden sind. Müsste man das alles noch manuell erledigen – was Linnenbank auch vorführte – müsste man spätestens bei den polyphonen Instrumenten sehr viel Vorbereitungszeit in Kauf nehmen, bevor überhaupt der erste Ton zu hören wäre. Es gibt für diese Automatismen in The Grid aber auch immer die Möglichkeit der Deaktivierung: Pitch-Tracking aus, Micro-Tuning an, beispielsweise.

Dieses Infofenster gibt es zu jedem der 152 Module, was gerade bei unbekannteren Modulen beim Verstehen der Parameter hilfreich ist.

FX Grid – Multieffekt selbst gemacht

Auch bei FX Grid, dem zweiten Plugin mit The Grid, ist beim ersten Laden schon etwas voreingestellt: Audioeingang und Audioausgang. Macht man hier die ersten Gehversuche, schaltet also beispielsweise einen Verzerrer, einen Filter und einen Delay in  Reihe und splittet die Frequenzen, erkennt man schnell ein erstes Manko von The Grid. Externe Plugins lassen nicht einbinden. Noch ein Wermutstropfen: Eine reine MIDI-Version von The Grid gibt es auch noch nicht. Was man damit für abgefahrene Sequencer, vollkommen neuartige MPE-Modulatoren oder Arpeggiatoren basteln könnte – schade,  aber The Grid erscheint mir so ausgerichtet, als könnte das alles noch durch zukünftige Updates möglich sein. Der Fokus war zum Anfang größtmögliche Stabilität und eine einfache Zugänglichkeit –  da kann man den Berlinern dieses kleine Manko nun wirklich nicht vorwerfen.

Das FX Grid Preset „Delay Crossfeed“, in dem das Crossfeed-Verhalten eines Stereo-Delays nachgebaut wurde.

Gerade bei Multieffekten sind es oft nicht die Effekte selbst, die diese besonders abgefahren klingen lassen, sondern möglichst komplexe Modulationen der Parameter. In The Grid gibt es zwar einige Hüllkurvenmodule und einen LFO, was aber fehlt, ist ein Multi-Stage-Envelope-Generator (MSEG). Das ist nichts anderes als eine komplexe Hüllkurve, deren Punkte und Verläufe man selbst setzen kann. Das Praktische an The Grid ist, dass man sich mit etwas Herumprobieren dann einfach selbst eins bauen oder in die sehr aktive Community im offiziellen Forum schauen kann. Die Menge an The-Grid-Devices bei KVR sowie die unzähligen YouTube-Tutorials wie vom Berliner Robert Agthe, der als Polarity seit dem Erscheinen der Beta unermüdlich Videos mit neuen Ideen für The Grid veröffentlicht, zeigen, dass Bitwig hier einen kreativen Nerv getroffen haben. 

Fazit

2012 erschien Bitwigs Studio 1. Als modulare DAW angekündigt, brachte sie nach ihrem Erscheinen tief verschachtelte Instrumentenkombinationen und einen Workflow, der stark an Ableton Live erinnerte, mit. Version 2 folgte dann mit Modulatoren, mit denen dann äußerst komplexe Modulationen möglich waren. Version 3 vollendet nun das Modulationsversprechen mit The Grid. Keine andere Modulationsumgebung macht es derart einfach und zugänglich eigene Instrumente und Effekte zu bauen.Klar, einige Dinge fehlen (noch). Externe Plugins bleiben außen vor, eine Verschachtelung ist nicht möglich und die eigenen Kreationen kann man nicht wieder als Unterpreset in The Grid laden. Außerdem hat Bitwig sich so auf diese große Neuerung eingeschossen, dass einige wichtige Verbesserungen weiterhin ausstehen. Einige native Effekte wie ein Saturatur oder ein Multibandkompressor fehlen genauso wie eine echte Comping-Funktion. Und bei aller Innovation: Bitwig wird bei größerer Spurenanzahl ganz schön CPU-hungrig im Vergleich zur Konkurrenz. 
Aber, aber, aber – Kaum eine DAW wird derart ambitioniert vorangetrieben, kaum ein Hersteller ist so eng mit seiner Community verbunden. Diese DAW ist plattformübergreifend, Touchscreen-fähig, crasht nicht durch Plugins, ist modular bis ins Detail, und das jetzt sogar auf Instrumenten- und Effektebene – Bitwig Studio 3 macht ganz viel richtig. 
Pro
  • Sehr einsteigerfreundlich
  • Viele Modulationsmöglichkeiten
  • Komplexere Voreinstellungen (Pitch Tracking) werden automatisch durchgeführt
  • 152 Module bringen unbegrenzte Soundmöglichkeiten
  • Sehr detaillierte Hilfefunktion
  • Sehr aktive Community
Contra
  • Hohe CPU-Last bei vielen Spuren
  • Module lassen sich nicht gruppieren
  • Modulkombinationen lassen sich nicht abspeichern
Features
  • plattformübergreifende DAW (Windows, OS X, Linux)
  • Sequenzer zum linearen Arrangieren
  • Clip-Mode zum nichtlinearen Songaufbau
  • volle Multi-Core- und Multi-Prozessor-Unterstützung
  • VST3 Support
  • The Grid: Modulationsumgenung mit 152 Modulen für selbst gemachte Synthesizer und Effekte
  • Device Nesting: Instrumente zu multitimbralen Layern verbinden
  • integrierte 32/64-Bit-Plug-in-Bridge
  • Sandbox als Plug-in-Crash-Schutz
  • Neue Time-Stretching-Technologie Elastique Pro
  • Multi-Display-Unterstützung für bis zu drei Bildschirme
  • unbegrenzte Audio-, MIDI- und Effekt-Spuren
  • 30 Modulatoren zum Modulieren von Device- und Plugin-Parametern
  • 37 Audioeffekte
  • 11 Softwareinstrumente
  • 15 Container
  • 11 Noteneffekte
  • 8 Hardwareeffekte für CV zur Anbindung von Analog-Synthesizern
  • MIDI- und Note-Expressions, einschließlich Micropitch-Pitch-Kontrolle
  • automatisches Sample-Slicing für Sampler und Drum-Maschine
  • Automation in absoluten und relativen Modi bearbeitbar
  • Unterstützung für zahlreiche MIDI-Controller
  • Remote Controls zur übersichtlichen Device-Parameter-Steuerung und vereinfachtem Mapping
  • Layer-Editing
  • Open Controller API: ermöglicht das Erstellen und Anpassen von MIDI-Controller-Mappings inklusive Scripting für den Zugriff auf nahezu alle DAW-Funktionen
  • Datei-Import: WAV, MP3, AAC, WMA, FLAC und Ogg Vorbis
  • Systemvoraussetzungen: Mac OS X 10.9 oder neuer, Windows 7 oder neuer, Ubuntu Linux 10.4 oder neuer, 4 GB RAM, 400 MB Standardinstallation, 9 GB Vollinstallation
Preis
  • Vollversion: 379 EUR (Straßenpreis am 02.07.19)
  • Upgrade: 159 EUR (Straßenpreis am 02.07.19)
Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • Sehr einsteigerfreundlich
  • Viele Modulationsmöglichkeiten
  • Komplexere Voreinstellungen (Pitch Tracking) werden automatisch durchgeführt
  • 152 Module bringen unbegrenzte Soundmöglichkeiten
  • Sehr detaillierte Hilfefunktion
  • Sehr aktive Community
Contra
  • Hohe CPU-Last bei vielen Spuren
  • Module lassen sich nicht gruppieren
  • Modulkombinationen lassen sich nicht abspeichern
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Bitwig Studio 3 Test
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