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Neumann TLM 170 R Test

Wenn Neumann-Mikrofone unter Tontechnikern zum Gesprächsthema werden – und das werden sie immer irgendwann – dann fallen meist die Kürzel altehrwürdiger Großmembraner wie U 47, U 47 fet, U 67 und U 89.

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Oft ist dann zu beobachten, dass die besonderen Mikrofone wie beispielsweise das M 150 Tube angesprochen werden, nicht selten nennt dann irgendwer das TLM 170 R und verbindet dies mit einem außerordentlichen Lob. Praktisch sei es, neutral, alltagstauglich, unprätentiös, was es zu einem hervorragenden Allrounder mache. Meine Erfahrungen mit dem umschaltbaren Doppelmembraner sind ähnlich, aber waren bis zu diesem Review sehr begrenzt. Ich hatte nun ein Neumann TLM 170 R aus Berlin geschickt bekommen und konnte es in verschiedenen Situationen ausprobieren. Enttäuscht war ich bestimmt nicht.  

Details

Wie das U 89 – nur eben ganz anders

Ha – was für eine schön verwirrende Überschrift. Nun, das U 89 und das TLM 170 R teilen sich eine ganz entscheidende Sache: die Kapsel. Diese Doppelmembrankapsel besitzt einen etwas geringeren Durchmesser als die typischen Neumann-Großmembrankapseln. Außerdem ist die Membran nicht mittenkontaktiert, sondern wird über die Randeinfassung mit der Spannung versorgt, die mit der gegenteiligen Spannung auf der Backplate das Kondensatorprinzip ermöglicht. 

"R" ist natürlich keine Richtcharakteristik.
“R” ist natürlich keine Richtcharakteristik.

Einstellen kann man die aus den Pegeln der beiden und der Polarität der hinteren Membran entstehende Richtcharakteristik mit einem Rad mit geriffeltem Rand. Kugel, Breite Niere, Niere, Hyperniere und Acht sind möglich, darüber hinaus „R“. „R“? Dies ist nicht etwa „Richtende Kugel“ oder „Runde Niere“, sondern steht schlichtweg für „Remote“. Mit dem Netzteil Neumann N 248, das bei entsprechendem Bedarf separat erworben werden muss, kann die Richtwirkung bequem aus der Ferne gewählt werden. Das freut vor allem bei der Verwendung auf hohen Chorstativen oder bei großer Entfernung zwischen Aufnahme und Regie, wie es in Philharmonien üblich ist. Das ist sicher praktisch, doch wird eine höhere Flexibilität erst durch Twin-Systeme wie das beim MG UM 930 twin, einigen Pearl-Mikrofonen (etwa PML ELM-A) oder dem Sennheiser MKH800 TWIN ermöglicht, die dann aber auch mindestens zwei Preampkanäle und Spuren verbraten. Hochpassfilter (100 Hz) und Vordämpfung (-10 dB) werden mit Schiebeschaltern am unteren Rand des Bodys auf der Rückseite geschaltet, eine Fernsteuerung ist hier jeweils nicht möglich. 

Fotostrecke: 3 Bilder Doppelmembrankapsel

Schon ohne Pad wird ein 0,5%-Anteil von THD+N am Gesamtsignal erst bei 144 dB SPL erreicht, das ist ein Wert, der erklärt, weshalb das 170 R auch gerne am Blech oder anderen pegelstarken Schallquellen eingesetzt wird. Dass der Ersatzgeräuschpegel nicht am Minimum liegt (14 dBA) und der Übertragungsfaktor erstaunlich gering ist (8 mV/Pa), erscheint vor diesem Hintergrund technisch absolut nachvollziehbar. Mit nur 50 Ohm Ausgangswiederstand ist das TLM 170 R unprätentiös, was Kabellängen und verschiedene Preamps angeht. 

Eine Holzkiste gehört zum Lieferumfang.
Eine Holzkiste gehört zum Lieferumfang.

Spinne? Welche Spinne?

Mikrofone mit einer fest installierten Bügelhalterung gibt es besonders von Neumann mehr, als man vielleicht zunächst denkt. So sind auch die beiden Broadcastmikrofone BCM 104 und das dynamische BCM 105 mit einer fixen Halterung versehen, das TLM 170 R leiht sich die Funktionsweise des Halters aber besonders bei einem Neumann mit einem großen Namen, dem U 47 fet. Kleine Elastomere sollten die Körperschallübertragung eindämmen und das Mikrofon flexibel ausrichtbar machen. 

Fotostrecke: 2 Bilder Elastormere – eine gute Alternative zur Spinne
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Praxis

Eines für alle?

Mit seiner Grundausrichtung als Arbeitspferd ist das Neumann TLM 170 R tatsächlich eine sehr gute Besetzung. Die Neutralität ist sprichwörtlich, es wirkt unaufgeregt und irgendwie – das ist jetzt gar nicht negativ gemeint – „beamtig“. Müsste ich ein einzelnes Adjektiv finden, das den Klang treffend umschreibt, würde ich wahrscheinlich „dokumentarisch“ wählen. Es beschönigt nicht, indem es ordentlich Harmonische hinzufügt oder dynamisch stark eingreift. Sicher, ich kenne Mikros mit spritzigeren, schnelleren Transienten, doch das sind meist Kleinmembraner. 

Macht der Raute alle Ehre: Neumann TLM 170 R
Macht der Raute alle Ehre: Neumann TLM 170 R

Erstaunlich, dass das Neumann TLM 170 R über den gesamten Pegelbereich eigentlich identische Eigenschaften besitzt. Ob hohe oder geringe Pegel, das Klangbild bleibt immer annähernd gleich. Damit und mit den klassischen Eigenschaften der resultierenden Richtcharakteristiken, entsteht etwas, das im professionellen Betrieb eine höhere Relevanz bekommen kann als das letzte audiophile Quäntchen Auflösung oder eine feinsämige Reibung eines Übertragers: Voraussagbarkeit! Es lässt sich bei unterschiedlichsten Klangquellen verlässlich voraussagen, wie das Neumann klingen wird. Ein hoher Pegel sorgt nicht sofort für zu viele Harmonische und dadurch für Klangfarbenänderung, ein zu geringer macht ebenfalls nicht Kopfzerbrechen, denn das Eigenrauschen ist gemessen an den anderen technischen Parametern hervorragend gering und klingt fein und unaufdringlich. Zwar zeigen die Frequenzgraphen durchaus Unterschiede im Verlauf bei den verschiedenen Richtcharakteristiken, in der Praxis ist der Unterschied sehr gering, wodurch die Entscheidung für ein Pattern stärker von der Lage der Off Axis und der Richtwirkung getrieben werden kann als von klanglichen Aspekten. Generell gilt beim TLM 170 R: Bewegt sich die Schallquelle aus der Hauptachse heraus, nehmen schlichtweg die Höhen langsam und kontinuierlich ab. Man kann also verstehen, dass es Engineers gibt, die auf die Frage nach ihrem „Desert Island Microphone“ grinsend mit „Hundertsiebzig“ antworten. 

Audio Samples
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TLM 170 R, 10 cm, Niere TLM 170 R, 10 cm, Niere, Hochpassfilter TLM 170 R, 10 cm, Niere, 45 Grad TLM 170 R, 30 cm, Niere TLM 170 R, 70 cm, Niere TLM 170 R, 10 cm, Acht TLM 170 R, 10 cm, Kugel U 89, 30 cm, Niere Aston Spirit, 30 cm, Niere Aston Spirit, 30 cm, Kugel Aston Spirit, 30 cm, Acht

Besonders popp- und trittschallempfindlich zeigt sich das Mikrofon nicht, die Verbassung durch den Nahbesprechungseffekt ist moderat und nimmt kontinuierlich mit kleiner werdendem Abstand ab. Eine leicht seitliche Besprechung hilft sehr gut zur Unterdrückung, auch die Tiefensperre arbeitet sauber. Ist ein höherer Vordämpfungswert als um 10 Dezibel eher unnötig, wäre eine höher angesetzte zweite schaltbare Grenzfrequenz durchaus kein Beinbruch gewesen.

Das flexible Mikrofon von Neumann wird bei vielen Produktionen nicht lange in der Aufbewahrungsbox bleiben.
Das flexible Mikrofon von Neumann wird bei vielen Produktionen nicht lange in der Aufbewahrungsbox bleiben.

Bliebe ein Blick auf die Preisgestaltung. Sicher, das Mikrofon ist gut ausgestattet, sicher, es ist gut gefertigt, sicher, es ist technisch und klanglich sehr gut, sicher, da ist diese Raute auf der Vorderseite. Würde das TLM 170 R gut tausend Euro weniger kosten, könnte man es als hervorragenden Standard für alle Recording-Lebenslagen durchaus empfehlen. Bedenkt man aber, dass es umschaltbare Großmembran-Kondensatormikrofone für gut tausend Euro gibt (und ich meine: von Neumann!), dann muss man leider festhalten, dass sich das Unternehmen besonders seine verbreiteten und geliebten Klassiker sehr gut bezahlen lässt, obwohl die Stückzahlen nicht gerade verschwindend gering sein werden. 

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Fazit

Mit der Anschaffung eines Neumann TLM 170 R holt man sich ein Mikrofon für das Gros der Aufgaben ins Studio. Es arbeitet zurückhaltend-neutral, anstatt schon eine klangliche Marschrichtung vorzugeben. Mit diesem Umstand muss man allerdings auch umzugehen und ihn einordnen zu wissen. Es ist ordentlich gefertigt, mit einer praktischen Halterung versehen und besitzt ein Emblem mit einem der größten, vielleicht sogar dem größten Namen der Mikrofongeschichte. Es ist einem Unternehmen mit diesem Ruf nachzusehen, vielleicht auch zu verzeihen, dass man feststellen muss, dass das Mikrofon in vielerlei Hinsicht zwar wirklich richtig „gut“, aber dafür dann doch leider empfindlich teuer ist. 

Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • sehr gute Allrounderqualitäten
  • ordentliche Verarbeitung
  • sehr hohe Pegelfestigkeit
  • praktische Aufhängung
  • Fernsteuerbarkeit (leider nur der Richtcharakteristik)
Contra
  • hoher Preis
Artikelbild
Neumann TLM 170 R Test
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FEATURES UND SPEZIFIKATIONEN
  • Wandlerprinzip: Echtkondensator, Doppelmembran
  • Empfängerprinzip: Druckgradient
  • Membrangröße: groß (1“)
  • Richtcharakteristik: Kugel, Niere, Acht, jeweils eine Zwischenstufe; mit N 248 auch fernumschaltbar
  • Frequenzgang: 20 Hz – 20 kHz
  • THD+N: 14 dB(A)
  • Empfindlichkeit: 8 mV/Pa
  • maximaler Schalldruckpegel mit Pad: 144 dB(SPL) (0,5% THD)
  • Pad: 10 dB
  • Hochpassfilter (6 dB/oct bei 100 Hz)
  • Preis: Einzelmikrofon: € 2477,– (Straßenpreis am 22.07.2017)
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