Coles 4038 Test

Jaja, das Coles 4038: Es gibt Formen, an denen sich die Geister scheiden. Unter den Mikrofonen gehört das gute, alte “Waffeleisen” definitiv zu den am meisten polarisierenden – nicht nur optisch. Auch der Klang des Bändchenmikros ist keineswegs einer, der zu allen Quellen passt und die Vorlieben aller Tontechniker bedient – über ebendiese Eigenschaften werdet ihr im folgenden Testbericht einiges erfahren.

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Das Mikrofon des englischen Herstellers Coles wandelt wie die anderen Produkte des Herstellers den Schall nach dem dynamischen Prinzip. Beim 4038 ist es wie bei 4040, 4104 und 4115 ein Aluminiumbändchen, welches in einem Magnetfeld die Schwingungen der Luft nachvollzieht und eine Spannung induziert. Gemeinsam mit den alten, amerikanischen RCA-Klassikern (beziehungsweise den AEA-Neuauflagen) lassen sich an den Coles-Mikrofonen wahrscheinlich am besten die Vor- und Nachteile des Ribbon-Prinzips erkennen. Dass meiner Meinung nach die Vorteile klar überwiegen und man die Nachteile in Kauf nehmen sollte, könnt ihr eigentlich jetzt schon anhand der Sternchenbewertung erkennen. Für mich steht fest: Das 4038 verdient den High-Score absolut zurecht!

Details

Was das 4038 mit Telefonen und Zebrastreifen zu tun hat…

Wenn ich das Coles 4038 ein “gutes, altes” Mikrofon nenne, dann zeigt das natürlich, dass es sich hier mitnichten um eine Neuentwicklung handelt, die sich soeben erst auf dem Markt unter die Flut an verschiedenen verfügbaren Mikrofonen gemischt hat. Ganz im Gegenteil: Die BBC benötigte nach dem Zweiten Weltkrieg ein vergleichsweise einfaches, leichtes, kleines und preiswertes Bändchenmikrofon. Angesichts des Gewichts von über einem Kilogramm und der Länge von knapp 20 Zentimetern mag jetzt mancher schmunzeln – wenn man jedoch bedenkt, dass es vor allem das Marconi Type A und seine Derivate beerbte – ein Trumm von einem Mikrofon –, dann sieht die Sache schon anders aus. Das 4038 ist heute mit 60 Jahren annähernd so alt wie die sagenumwobenen Neumann U 47 und AKG C 12. Im Jahre 1953 wurde es noch mit leicht anderem Korb als PGS (Pressure Gradient Single Ribbon) vom traditionsreichen Londoner Unternehmen STC (“Standard Telephones and Cables“, vormals sogar “Standard Telegraphs and Cables”) hergestellt und fortan von der BBC viel genutzt und geliebt. Eine weitere Institution von der Insel war ein dankbarer Abnehmer und fleißiger Nutzer dieses Ribbon-Mikes und hat auch heute noch 15 Stück verschiedener Jahrgänge im seiner Mikrofonsammlung (die zu den bedeutendsten der Welt zählt). Ich rede von einem Studio, mit dem sicherlich bekanntesten Zebrastreifen der Welt, der über eine gewisse Abbey Roadführt. So hat man das Bändchen beispielsweise über dem Ludwig-Schlagzeug eines Herrn Ringo Starr hängen sehen. Die Produktion des 4038 übernahm von der STC ab 1974 die ebenfalls britische Firma Coles. Anders als bei derartigen Veränderungen üblich, halten sich die Rufe, nur STC-4038er würden richtig nach 4038 klingen, bis heute im Rahmen.

Beileibe kein Museumsmikrofon, sondern immer noch aktuell

Nicht nur die Abbey Road Studios, auch die BBC nutzt bis heute die auffälligen Mikrofone, wenngleich für Sprache dort auch häufig die 4104 genutzt werden – ebenfalls geradezu kauzige (eben englische), aber hervorragende Mikrofone. Die Einsatzmöglichkeiten eines Coles 4038 sind mannigfaltig, nicht immer passend, aber manchmal die mit riesigem Abstand beste Lösung für ein bestimmtes Ergebnis. Eine schon zuvor genannte Mikrofonierung ist gleichzeitig eine der besten: Am Schlagzeug, besonders als Overheads bzw. Shoulderheads oder Frontmikrofonierung. Besonders hier kann sich etwas entwickeln, dass in Verbindung mit den Coles der “Bigger-Than-Life-Sound” genannt wird. Aber auch Streicher im nicht-klassischen Bereich, Akustikgitarren, Saxophon, ja sogar Blech (French Horn!), manchmal Leslie und wie ich finde viel zu selten auch Gesang sind sehr dankbare Schallquellen. Aufgrund der Bändchen-immanenten Richtcharakteristik Acht bieten sich natürlich die Stereoverfahren MS und Blumlein mit zwei 4038 an, weshalb die Mikrofone auch als Matched Pair erhältlich sind. Doch natürlich lassen sich auch andere Anordnungen, wie Achter-XY, MS mit anderen M-Mikros, Spaced-Verfahren wie Faulkner oder Recorderman, Kugel-Acht-Pakete und vieles mehr aufbauen. Für Achten gibt es ja eine Vielzahl an Anwendungen.

Fotostrecke: 7 Bilder Die BBC benutzt die 4038-Bändchen von Coles noch heute.

Dickes Lochblech schützt dünne Alufolie und schweren Magneten

Das Gehäuse des 4038 besteht aus rustikal anmutendem, gelochten Messingblech ordentlicher Stärke. Was gerne vergessen wird: Die die Membranen umgebenden Materialien haben oft enormen Einfluss auf den Klang, so trägt genau dieses Blech zum typischen Charakter des STC/Coles bei, besonders in den Höhen. Glücklicherweise ist das empfindliche Bändchen zudem durch eine feine Metallgaze geschützt. Diesen Schutz hat es auch notwendig, denn trotz des Alters des Designs ist das vertikal im 4038 liegende, gefaltete Aluminiumband mit 0,6 Mikrometern Dicke eines der dünnsten Mikrofonbändchen überhaupt. 2/9″ breit und 1″ lang ist es, besonders durch die Länge und die Einspannung mit etwa 50 Hz Resonanzfrequenz ist es naturgemäß durchaus höhenarm – auf diesen Umstand komme ich gleich noch einmal zu sprechen. Zunächst einmal sollte deutlich sein, dass das Bändchen aufgrund seiner Dimensionen und seiner daraus resultierenden Masse in die gleiche Kerbe schlägt wie das Magermodel Twiggy: Es wiegt fast nichts! Dies wiederum hat den Vorteil, dass es Impulsen recht flott folgen kann und bei weitem nicht so behäbig ist wie fast alle anderen dynamischen Mikrofone. Eine ausgefuchste Dämpfung sorgt dafür, dass das Ribbon-Signal nicht verschmiert und immer knackig und trocken bleibt. Der Nachteil folgt aber auf dem Fuße: Die Spannung, die ein kleines Stückchen Aluminium bei den typischen winzigen Amplituden in einem Magnetfeld zu induzieren vermag, ist sowieso sehr gering – bei dem Hauch von Metall im Coles 4038 sind es trotz des großen Alnico-Magneten nur 0,56 mV/Pa Feldübertragungsfaktor nach der Impedanzwandlung. Ein hochwertiger, rauscharmer Preamp ist damit also eindeutig indiziert, wenn man mit einem 4038 arbeiten möchte. Der Magnet, dessen Hufeisenform auch die Gehäuseform des gesamten Mikrofons bestimmt, ist seit Jahren nicht verändert oder “aktualisiert” worden. Aus diesem Grund ist ein 4038 auch heute noch nicht nur “schwach”, sondern auch sehr schwer: 1,08 Kilogramm sind es genau, die das Ribbon-Mikro auf die Waage bringt.

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Je höher die Frequenz, desto geringer der Klirr

Ebenfalls kein Leichtgewicht ist der Ringkerntransformator, der als Ausgangsübertrager zum Einsatz kommt. Dieser ist verkapselt, um dadurch gegen Einstreuungen 30-40 Dezibel unempfindlicher zu sein. Hinter dem Toroiden beträgt die Nennimpedanz 300 Ohm, liegt also geringfügig über der heute von Preamp-Herstellern üblicherweise verlangten von maximal 200 Ohm – allerdings hat das keine sonderlich großen Auswirkungen. Bei 110 Hz liegt der 1%-THD-Punkt bei 125 dB(SPL), bei geringeren Frequenzen zerrt es – wie bei den meisten Bändchen – etwas eher: Bei 55 Hz ist dies schon bei 110 dB(SPL) der Fall. Dafür liegt aber eine enorme Unempfindlichkeit bei hohen Frequenzen vor. In den 1950ern konnte man noch von “Linearität” des Pegelfrequenzgangs sprechen, heute tut man das im Angesicht dahingehend annähernd perfekter Mikrofone besser nicht. Im recht schmalen Toleranzschlauch bewegt sich der Graf behende auf und ab, die Überhöhungen und Absenkungen erinnern an den Frequenzgang einiger Druckempfänger-Tauchspulenmikrofone – sie liegen bei 50 Hz, im Mittenbereich und in den Höhen. Die Resonanzfrequenz des Bändchens, interne Reflektoren, die Größe der Löcher im Gitter und nicht zuletzt die Form des Frontgrills tragen dazu bei. Oberhalb von 10 kHz setzt jedoch der charakteristische Roll-Off ein, wodurch das 4038 weitaus weniger in diesem Frequenzband transportiert als etwa übliche Kondensatormikrofone. Das klingt erst einmal unerfreulich, doch ist es genau das, was bei vielen Signalen durchaus gewünscht ist. Außerdem klingt das deutlich anders, als wenn ein Equalizer mit Shelf-Charakteristik das Höhenband abschwächt, da beim Coles-Bändchen immer noch eine enorme Impulstreue bleibt.

Drehen und Wenden für den Klang

Die Achtercharakteristik des Mikrofons mit dem langen Bändchen ist in vertikaler Betrachtung nicht so schmal, wie es im Lehrbuch steht, besonders hin zu tiefen Frequenzen. Weiß man dies, lässt sich mit Drehung um die Achsen des Mikrofons der Sound ein wenig verändern. Besonders in Anbetracht der Tatsache, dass der Klirr bei tiefen Frequenzen tendenziell höher wird und das Ribbon sehr empfänglich für den Nahbesprechungseffekt mit seiner Tiefenanhebung ist, ermöglicht das einen recht flexiblen Einsatz – ohne dass der Grundcharakter des 4038 in den Hintergrund treten würde. Nun: Dafür ist dieses auffällige Mikrofon eben auch bekannt!

Fotostrecke: 4 Bilder An diesen drei Ösen kann das 4038 aufgehängt werden – und lässt sich auf der Achse noch frei drehen!

Die drei Ösen am Body lassen sich drehen, denn urspünglich wurden die 4038 mit Bändern an Bügeln von Mikrofonstativen abgehängt – gut zu sehen auf alten Fotos. Zusätzlich kann der Korb um ganze 180° gedreht werden!

Wetten gewinnen mit dem 4038

Viele Klassikermikrofone – beispielsweise Sennheiser MD 21, MD 421 und MD 441 haben ein Update ihrer Anschlussnorm von (meist) Kleintuchel auf XLR erfahren – das 4038 nicht. Der Mikrofonanschluss lautet auf den Namen “Western Electric 4069”. Ihr könnt im Musikfachhandel damit wahrscheinlich die ein- oder andere Wette gewinnen, ein passendes Mikrofonkabel habt ihr dadurch aber dann noch lange nicht. Coles weiß Rat, indem es verschiedene Adapter anbietet, welche mit einem kurzen Kabel auf das “topmoderne” (höhö…) XLR adaptieren und gleichzeitig so etwas Luxuriöses wie ein Gewinde zum Anschluss an ein handelsübliches Mikrofonstativ ermöglichen. Zur Auswahl stehen 4071B und 4072, wobei letztgenannter Adapter über eine kleine Shock-Mount verfügt. Wichtig zu wissen: Die Adapter gehören nicht zum Standard-Lieferumfang des Mikrofons, ohne ihn kann man das 4038 weder anschließen noch befestigen!

Fotostrecke: 3 Bilder Heutzutage nicht gerade eine gängige Stecker- und Buchsennorm: Western Electric 4069.

Praxis

British Oddity: etwas befremdliche Bedienung

Im Handling ist das Coles durchaus gewöhnungsbedürftig: Der Western-Electric-Adapter ist zwar leicht installiert, die Deinstallation hingegen ist durchaus eine etwas schrullige Sonderlösung, da die Blechringe am Korpus zusammengedrückt werden müssen, um den Arretiersplint für den dicken Adapterstecker freizugeben. Das bedeutet natürlich auch, dass man viel Vertrauen benötigt, um ein 4038 mit Adapter “upside-down” zu verwenden, wie es besonders bei Overheads und Gesangsmikrofonen öfters gemacht wird. Hier sollten dann die Ösen ins Spiel kommen und das Bändchenmikro wirklich an Bügel gehängt werden, statt an ein Gewinde geschraubt zu werden (oder eben beides). Alles kein Beinbruch, aber das wirklich Dumme ist, dass der kleine Plastikkoffer, in welchem das 4038 geliefert wird, Mikrofon und Adapter nur demontiert aufnimmt. Freuen wird man sich in jedem Fall über den weiten Neigungswinkel des Korbes und die Drehbarkeit auf der Achse. Schließlich sind Ribbons nicht ganz rotationssymmetrisch in ihrer Richtwirkung, außerdem kann man durch Schrägstellen der Bändchenfläche gegen die Wellenfront den Druckunterschied zwischen Vorder- und Rückseite des Bändchens verringern, was auch nähere Positionierungen ohne zu starke Verbassung und Zerrgefahr ermöglicht.
(Übrigens haben wir ein “How to” zum Umgang mit dem Coles 4038 erstellt – mit Text, Fotos und Video.)

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Das Waffeleisen ist ein rohes Ei

Es bleibt aber ein klarer Nachteil von Bändchen, dass sie so empfindlich sind. Eine Nachricht frei nach Hiob: Das 4038 zählt unter den sowieso empfindlichen Bändchenmikrofonen zu den sehr empfindlichen. Zwar überstehen sie – selbstredend wohlverpackt – den Versand mit den Paketdiensten dieser Welt, doch kann ein zu hoher Schalldruck durch Blechbläser, Lautsprecher, Trommeln, ja schon das Pusten eines unwissenden Sprechers oder Sängers und sogar eine zu nahe Mikrofonierung ohne Poppschutz das Bändchen ausleiern und im Extremfall sogar reißen lassen. Es ließe sich zwar neu bespannen, aber das kostet Geld und verhindert möglicherweise die weitere Nutzung eines Paares im Stereoverbund. Es soll Engineers gegeben haben, die das Aluminiumbändchen in ihrem 4038 dadurch gehimmelt haben, dass sie den Koffer zu schnell geschlossen haben(!).

Anziehungskraft nicht nur auf Tontechniker

Um nicht langfristig das Bändchen ausleiern zu lassen, ist man gut beraten, Ribbon-Mikes mit vertikaler Bändchenposition zu lagern. Wichtiger ist es jedoch, den lilafarbenen  Samtbeutel bei Nichtnutzung dem 4038 überzustülpen. Dadurch ist gewährleistet, dass Staubteilchen – besonders feine Metallpartikel, die vom Magneten angezogen werden können – das Innere des Bändchens nicht verschmutzen und die Performance beeinträchtigen. Noch etwas kann wie bei allen dynamischen Mikrofonen den Spaß verhageln: Phantomspeisung! Natürlich ist diese auch für ein Coles 4038 eigentlich ungiftig, doch wenn es ein Problem bei der Verdrahtung gibt oder durch Kabelziehen der Kontakt der Pins stark verzögert unterbrochen wird, kann der kleine Stromfluss durch das Bändchen selbiges schmoren. Mir ist beispielsweise die Schwingspule eines Vintage-Mikrofons kaputtgegangen, weil ich an einem Pult mit nur blockweise schaltbarer Phantomspeisung ein mangelhaft konfektioniertes Kabel verwendet hatte.

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Phantome meiden – oder nutzen

Glücklicherweise gibt es für solche Fälle Phantom-Blocker. Diese bieten zwar auch keine hundertprozentige Sicherheit, doch wird damit das Risiko eines Schadens sehr gering. Den Feind kann man sich auch zum Freund machen: Praktisch finde ich einen kleinen Barrel-Amp, wie ihn die niederländische Firma Triton Audio herstellt. Dieser nutzt die Phantomspeisung als Spannungsquelle für einen kleinen Verstärker mit festen 20 dB Verstärkung, blockiert die 48 Volt aber gleichzeitig Richtung Mikrofon. Damit schlägt man möglicherweise zwei Fliegen mit einer Klappe: Mikrofon-Vorverstärker, die ganz hohe Verstärkungen nicht anbieten oder – je nach Design – im hohen Gain-Bereich zu viele Harmonische erzeugen, können dadurch deutlich entlastet werden. Es ist nicht unüblich, dass bei leiseren Signalen und womöglich etwas entfernterer Mikrofonierung die Preamps eine Schwerstarbeit von über 70 dB Pegelhub leisten müssen – nicht jeder Vorverstärker wird also dem Coles 4038 gerecht!

Ein Phantom-Blocker (hier von Triton) bietet Schutz für das Bändchen.
Ein Phantom-Blocker (hier von Triton) bietet Schutz für das Bändchen.

British Politeness

Auch wenn man es für andere Zwecke anschafft und in einem Studio tätig ist, das mit Sprache nicht viel am Hut hat, sollte man sich mit einem 4038 einmal die Zeit nehmen und Sprache aufnehmen. Wer einen englischen Muttersprachler zur Hand hat, sollte ihn sich dafür greifen. Doch auch ohne: Das klingt eindeutig nach Großbritannien und weckt Assoziationen mit Orangenmarmeldade, Linksverkehr, Pubs mit opulenten Bierzapfhähnen und abwechselnd warmem und kaltem Regen. So haben wahrlich britische Sprecher zu klingen – und so klingen sie auch heute noch.

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Bonedo Broadcasting Corporation Bonedo Broadcasting Corporation, very posh version

Es fällt auf, dass der Klang der Stimme einerseits zurückhaltend und unaufdringlich wirkt, bei aller “Plattheit” aber gleichzeitig komplett, äußerst klar und artikuliert. Diese Kombination macht auch den Reiz bei der Abnahme verschiedener Instrumente aus: Es ist nicht das allerletzte Detail, welches dargestellt wird, doch das Gesamtbild passt und ist – wenn man sich die kurze Zeit genommen hat, Abstand und Winkel optimal einzurichten – oftmals sogar mix-ready. Das betrifft einerseits oft den Frequenzgang, andererseits sogar die Dynamik. Man hat nicht so sehr das Bedürfnis, herausstechende Bestandteile irgendwelcher scharfer Konsonanten einzufangen und Vokalen mehr Bauch zu geben, das Signal ist einfach rund. Hier kommt auch der Roll-Off ins Spiel, welcher Sprecher (besonders deutschen mit ihrer übertrieben scharfen Artikulation) ein wenig im Zaum hält, was die Spitzen angeht. Amerikanischer, weicherer Artikulation ist das eher nicht zuträglich. Allerdings lässt sich bei Bedarf der Nahbesprechungseffekt ausnutzen und die Stimme sehr nah und intim klingen lassen. Und na klar: Was für Sprecher gilt, lässt sich auch auf Sänger übertragen:

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Vocals, 10 cm Vocals, 10 cm, vertikal geneigt Vocals, 30 cm Vocals, 10 cm, Röhren-Preamp

Im Vergleich zum Coles 4038 klingen manche anderen Bändchen wie das beliebte Beyerdynamic M160 etwas feiner und brillanter, ja sogar so manches Tauchspulenmikrofon trotz seiner großen bewegten Masse. Das Electro-Voice RE20 klingt hier fast schon spritzig. Einen ganz anderen Klangcharakter hat ein Großmembran-Kondensatormikrofon, welches frischer, aber auch britzeliger und reibender klingt.

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Vocals, Electro-Voice RE20 Vocals, Mojave MA-201FET

Bang the Drums!

Die Verwendung eines 4038 als Vocal-Mike ist recht selten, da es schon sehr deutlich “vintage” klingt und auch die Abbey-Road-Engineers sich bei den Beatles-Aufnahmen lieber an ihrem Neumann-Fundus vergangen haben und sehr gerne ein U 47 vor die Liverpooler mit den komischen Frisuren (später auch: Bärten, Brillen, Anziehsachen, Freundinnen…) gestellt haben.

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So, jetzt aber: Schlagzeug! Zum Test baue ich – obwohl ich ein Stereopärchen habe – ein Mono-Overhead auf. Nach kurzer Positionssuche habe ich etwas gefunden: Das Overhead steht, vertikal ausgerichtet, recht zentral über der Fersenplatte der Bassdrum-Maschine. Ein zweites 4038 befindet sich in Kniehöhe mehr als einen Meter links neben der Snare und zeigt mit dem vertikal liegenden Bändchen exakt auf die Mitte des Bassdrumkessels. Ja, das sieht komisch aus und nein, das steht so bestimmt in keinem Lehrbuch. Allerdings können die Mikros hier zeigen, was sie können:

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Overhead, Knee, beide

Bigger than Jesus? Bigger than Life!

Das ist er, der “Bigger than Life”-Sound! Die Trommeln klingen – obwohl in Zimmerlautstärke gestreichelt – groß und wuchtig, aber gleichzeitig weder rau noch behäbig und auf keinen Fall wabbelig und indifferent. Percussion-Signale haben immer noch die notwendige Luft und bleiben auf verhaltene und bescheidene Weise agil. Es tut mir fast schon leid um die häufigen Klischees: Es klingt einfach englisch. Wer gerade über eine vernünftige Abhöre lauscht, wird bemerken, was für ein warmer, angenehmer, aber trotzdem bestimmter und konkreter Bassdrumdruck von dem Knee-Mike eingefangen wird. So richtig vermissen tue ich ein Bassdrum-Mikrofon eigentlich nicht in diesem Moment. Übrigens: Ich habe wirklich sehr schöne Zildjian-, Ufip- und Masterwork-Becken… die hier alle nicht zum Einsatz kommen. Es sind ziemlich schlechte Becken, alte, billige, maschinell hergestellte Messingblech-Scheiben aus den Budget-Serien diverser Hersteller – aber nie klangen die so gut wie über diese Mikrofone!

Schmatzen mit mehr Schmackes

Bei allen Signalen fällt auf, dass es ein leichtes, kurzes Schmatzen in den Attacks gibt, die Transienten aber dennoch ihre Klarheit und Bestimmtheit behalten. Wie bei manchen Röhrengeräten wird der Attack dadurch geringfügig breiter und bekommt ein leichtes “Singen”, ohne dass es ein nerviges “Ringen” wird. Will man es klassisch haben und die Drums deutlich squashen, bewegen und färben, schickt man die beiden 4038-Signale durch einen adäquaten Kompressor für diese Aufgabe: So klingt die für Liebhaber dieses Sounds vielleicht schon ideale Overhead-Kette 4038, Tube-Tech MP 1A und Chandler Zener Limiter:

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Drums Squashed

Natürlich gibt es noch viele weitere Möglichkeiten, ein Drumkit mit einem oder zwei Coles zu mikrofonieren. Neben den notorischen Stereoverfahren mit Achtern sind dies aber gerne die klassischen Overheads, Shoulderheads und Front-Kit-Positionen, wobei sich die beiden letztgenannten aufgrund der rückseitigen Emfpindlichkeit der Acht besonders bei geringerer Deckenhöhe im Gegensatz zu üblicheren Over-Kit-Positionen empfehlen, um sich nicht mit den nahen Rückwürfen Kammfilterprobleme einzuhandeln.

Keine Angst vor dem EQ

Die Coles 4038 vertragen Frequenzbearbeitung erstaunlich gut. Auch positive Gains im Höhenbereich sind möglich, solange man sein geringpegliges Signal nicht sowieso schon im Rauschen suchen muss. Mit dem Equalizer macht es beim 38er wie bei wenigen anderen Mikrofonen Spaß, Frequenzbereiche wirklich zu boosten, anstatt andere mit negativem Gain verschwinden lassen zu wollen. Es ist wirklich erstaunlich, was sich mit einem EQ im Spektrum alles “finden” lässt und wie sehr man im Mix den Frequenzgang eines Signals noch verwandeln kann, ohne dass man an der Qualität Abstriche machen müsste.  

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Alles durch eins

Ich habe mir den Spaß erlaubt, wie im Testmarathon der Tauchspulenmikrofon-Klassiker einfach mal alle Signale mit 4038ern aufzuzeichnen, um den Charakter, aber auch die Vielseitigkeit dieses Bändchen-Urgesteins vorzuführen. Und siehe da: Der Mix benötigt nur verhaltenes EQing und kommt sogar mit sehr wenig Kompression aus. Ich habe die Signale auch trocken gelassen, um diese leicht staubige, edelmatte Patina nicht zu verwässern. Neben dem Drumsound hat es mir vor allem die Arbeit vor meinem Transistor-Combo angetan, über den das Rhodes lief: Die harten Spitzen wurden sanft zurückgefahren und das Signal automatisch “teurer”, außerdem kann man vor dem Cabinet mit Winkel und Abstand sehr stark klanggestaltend Einfluss nehmen – und erwischt eigentlich nie eine Position, in der das Signal grauenhaft klingt und zusammenbricht. Auch der E-Bass klingt bauchig, aber trotzdem straff – das 4038 fügt kein “Nachwabbeln” hinzu. Doch bei aller Liebe: Ein Coles 4038 sollte bestimmt nicht das erste Mikrofon sein, was man sich anschafft, denn als Mädchen für alles und Arbeitstier taugt es nur bedingt.

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Rhodes/Amp Song

Fazit

Wenn ich über das Coles 4038 urteilen soll, muss ich zuvor ganz klar sagen: Ich bin bekennender Fan dieses Bändchenmikrofons – was ich sicher im Test nicht verstecken konnte. Ich verstehe es auch voll und ganz, wenn mir jemand mitteilt, dass das merkwürdig geformte Ding weder mit seiner Art zu arbeiten noch seinen klanglichen Präferenzen in Einklang zu bringen ist. Doch unbestreitbar ist es einer der ganz großen Klassiker unter den Mikrofonen und hat klangliche Eigenschaften, die kein anderes Mikrofon bietet – welche das sind und was die Magie des Mikrofons ausmacht, lässt sich nicht mit einem Satz beschreiben. Auf jeden Fall ist auch klar: Es ist kein “Set-it-and-forget-it”-Werkzeug, sondern eines, mit dem man sich ein wenig auseinandersetzen muss, das man kennenlernen muss. Aber das lohnt sich!
Nicht nur obwohl, sondern auch weil es polarisiert, weil es speziell und kauzig ist: Für mich ist das Coles 4038 einfach eines der besten Mikrofone der Welt.

Pro
  • unnachahmlicher Klangcharakter: Roll-Off der Höhen tut vielen Signalen gut, “Bigger Than Life”-Sound
  • Impulstreue
  • verträgt Frequenzbearbeitung sehr gut
  • vielseitig einsetzbar
  • sehr gute Ausrichtbarkeit
Contra
  • physikalisch empfindlich
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Technische Spezifikationen
  • Empfängerprinzip: Druckgradientenempfänger
  • Richtcharakteristik: Acht
  • Wandlerprinzip: dynamisch (1″-Bändchen)
  • Frequenzgang: 30 Hz – 15 kHz (-3 dB)
  • Übertragungsfaktor: 0,56 mV/Pa
  • Ausgang: Western Electric 4069 (Adapter nötig!)
  • Preis: Euro 899,- (UVP)
Unser Fazit:
5 / 5
Pro
  • unnachahmlicher Klangcharakter: Roll-Off der Höhen tut vielen Signalen gut, "Bigger Than Life"-Sound
  • Impulstreue
  • verträgt Frequenzbearbeitung sehr gut
  • vielseitig einsetzbar
  • sehr gute Ausrichtbarkeit
Contra
  • physikalisch empfindlich
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Coles 4038 Test
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Profilbild von b.riesel

b.riesel sagt:

#1 - 20.03.2013 um 18:51 Uhr

0

hi nick
schöner test. ich habe selbst seit etwa 1 jahr ein coles 4038 und würde es nie wieder hergeben. ich findes es gerade bei weibl. vocals genial. man muß dem roll-off mittels eq etwas gegenwirken. dafür hat man dann super präsente vocals - in your face. ich nutze es für immer mehr und liebäugle mit einem zweiten für overheads ;-)

Profilbild von Johnny

Johnny sagt:

#2 - 19.11.2019 um 13:57 Uhr

0

Braucht man eigentlich unbedingt ein Matched Pair für M/S oder Blumlein, oder könnte ich mir zu meinem vorhandenen Coles einfach ein zweites dazu kaufen?

    Profilbild von Nick (Redaktion Recording)

    Nick (Redaktion Recording) sagt:

    #2.1 - 19.11.2019 um 14:26 Uhr

    0

    Hallo Johnny,das hängt sicher vom Alter und Zustand Deines 4038 ab. Im Zweifel solltest Du es einfach ausprobieren, indem Du im XY-Betrieb mit wiederholbaren Quellen (z.B. ganz banal Wiedergabe über Lautsprecher oder Amp mit Reamping) die Mikrofone tauschst und anschließend in der DAW mit Solo die beiden Aufnahmen vergleichst. Und im Idealfall versuchst Du, auch andere Einflüsse (Kabel, Preamps…) durch L-R-Tausch auszuschließen.
    Und natürlich ist ein MS nicht so empfindlich gegenüber unterschiedelichen Mikros.Beste Grüße
    Nick

    +1
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