Extreme Effekte verändern Sounds so stark, dass sie kaum wiederzuerkennen sind. Diese Art von radikalem Sounddesign braucht es oft – etwa für Filme und Games, um vollkommen neue Klangcharakteristiken zu schaffen, oder für Samples in der eigenen Produktion, die nicht nach Preset klingen sollen. Auch bei Stimmeffekten für den Livestream oder die Gesangsaufnahme kommen sie zum Einsatz.
Extremes Sounddesign wird anfangs oft eher Geräusch, nah am Tafelkratzen, hervorbringen, bevor ihr die ersten spannenden Resultate zu hören bekommt. Egal, ob ihr Preset-Durchklicker oder Parameter-Verdreher seid, habt Geduld, bis sich die Sounds nicht mehr nur schrecklich anhören.
Womit verfremdet ihr Sounds am liebsten? Welche Plugins und DAW-Mittel sind eure Favoriten?
Distortion, Verzerrung, Saturation
Gerade im „Punish“-Modus, der den Eingangspegel um 20 dB anhebt, entfleuchen Soundtoys Decapitator solche kaputten Sounds, die mit dem Original kaum noch etwas zu tun haben – ein Muss für Sounddesigner! Die fünf Buchstaben unten im Plugin stehen übrigens für fünf legendäre Studio-Vorverstärker: A für AMPEX, E für EMI, N für NEVE, P für die Pent-Einstellung am Culture Vulture und T für die Tri-Einstellungen am Culture Vulture.
Einer der kreativsten Distortion-Effekte ist Rift von Minimal Audio. Im Verzerrer gibt es 24 Algorithmen, eine komplexe Modulations-Engine und einen dreifachen Multibandmodus. Dazu gibt es Besonderheiten wie die Möglichkeit, die Tonhöhe des Feedback-Pfeifens auf eine Note zu stimmen, einen mächtigen Modulations-Sequencer für komplexe Rhythmen auf allen Parametern und über 400 Presets, die von subtilem Anwärmen bis zum resonanten Pfeifkonzert auf dem Drumloop alles bieten. Verzerr- und Feedback-Sound könnt ihr mit den Freeware-Versionen Rift Filter Lite und Rift Feedback Lite testen.
Für dich ausgesucht
Arturia Dist Coldfire verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie Rift. Auch hier geht es weniger um analogen Klangcharakter und sanfte Sättigung als um rhythmische Zerstörung. 150 Presets, 11 Verzerrgeschmäcker (analog und digital) und eine wunderschön komplexe Modulationsengine mit LFO, Step Sequencer und Envelope Follower machen Dist Coldfire zu einem der besten Extremzerstörer auf dem Pluginmarkt. Wer das gerne erstmal testen möchte, kann das mit der unbegrenzt lauffähigen Demo (20 Minuten proSession) tun.
Grain
Hier hat sich einiges getan in den letzten Jahren. Als komplexester Effekt der Gattung gilt immer noch CrusherX. Wer eher nach einem spielerischen Ansatz such und erstmal mit Presets und wenigen Reglern ganz viel Granulieren möchte, sollte sich Portal von Output näher ansehen.
Ins Detail gehen, die Granular-Engine modulieren und verstellen und den Sound verfremden ist hier auch möglich. Den Einstieg erleichtert das riesige, kreisförmige X/Y-Pad. Damit erzeugt man durch das bloße Herumfahren mit der Maus unendliche Variationen sämtlicher Presets.
Wer Fan des Granular-Synths Pigments von Arturia ist, wird sich über EFX Fragments freuen. Auch der französischen Hersteller bringt mit diesem Plugin eine Grain-Engine mit, die sich beim Erzeugen von „Future Sounds“ für alle elektronischen Genres genauso effektiv zeigt wie beim radikalen Verändern von Sprach- oder Gesangsaufnahmen. Dazu verwandelt der „Rhythmic Mode“ jedes Synth Pad in Glitch Percussion. Der Modus triggert die erzeugten Grains rhythmisch.
Wo Output Portal bei den Granulareffekten quasi Neuland erschlossen hat, traf Dawesome Love indessen auf einen mehr als gesättigten Markt. Trotzdem kommt der Effekt mit so vielen kreativen Ideen, einem so durchdachten Workflow und einer derart vielfältigen Preset-Library, dass wir Love als derzeit besten Granular-Effekt auf unsere Liste setzen. Dazu ist das VST für seine gut 60 US-Dollar auch noch eines der günstigsten.
Time-Stretching
Die Time-Stretching-Engines moderner DAWs, wie die Warp-Engine in Ableton Live, VariAudio in Cubase oder Elastic Audio in ProTools, sind vor allem für sanfte Korrekturen und das Einpassen von leichten Temposchwankungen bei Audiomaterial gedacht. Nutzt man ihre extremsten Einstellungen, können sie zwar auch Sounds verfremden, doch soll es dann in richtig abgefahrenes Territorium gehen, führt kein Weg an der Freeware Sonosaurus PaulXstretch vorbei.
Audiomaterial auf das bis zu 1024-fache zu verlangsamen, ohne dass sich die Tonhöhe ändert, zaubert hier aus jedem Vocal Loop ein episches Pad, aus jeder Percussion ein bitterböses Drone. Ähnlich wie bei Melodyne muss das Quellmaterial immer erst in den Effekt importiert werden. Dann gibt es dem Stretch-Algorithmus noch 9 weitere Effekte wie ein Frequency und ein Pitch Shifter und einen Oberton-Erzeuger. Alle Effekte in Paulxstretch verfremden schon bei kleinen Veränderungen extrem.
Multi-Effekte: Glitch, Grain und Delay-Gewitter
Wenn es denn mal wirklich komplex und extrem werden soll, sind Multi-Effekte eine gute Wahl. Einen Streicher-Loop verhackstücken, die Drums slicen, choppen und verzerren, was das Zeug hält – bevor ihr da für jeden Effekt ein einzelnes Plugin ladet, greift ihr besser zu diesen Schweizer Taschenmessern. Sie kombinieren verschiedene Glitch-, Verzerrungs- und Delay-Effekte, oft auch rhythmisch getriggert.
Eine Auswahl: BYOME von Unfiltered Audio treibt das Prinzip Multi-Effekt auf die Spitze. Denn „Build Your Own Multi Effect“ bringt nicht nur über vierzig Effektmodule in den Kategorien Distortion, Modulation, Granular und Spektral mit. Die Modulationsmöglichkeiten machen den Effekt fast schon zu einem Modular-Synth, nur eben als Effekt. Dazu gibt es mit „Triad“ noch eine an BYMOE angelehnte Multi-Band-Version. Wer möchte, betreibt den Effektwahnsinn in drei Frequenzbereichen separat noch weiter.
ShaperBox 3 vereint neun Module, mit denen sich mittels ausgeklügelten LFOs samt selbst definierbaren Wellenformen Klänge verfremden lassen – von subtilen Modulationen bis hin zur absoluten Unkenntlichkeit.
Wenn es um rhythmische Sidechaining- und Stereoeffekte geht, erweist sich Shaperbox 3 von Cableguys als eines der besten Plugins. Der TapeStop-Effekt „Time“ und der neue Drive-Effekt erzeugen in Kombination mit den komplexen Modulationskurven aus eintönigem Gesang oder künstlich klingenden Orchester-Sounds vollkommen neue Klangwelten. Dazu erweitert der Hersteller das Plugin kontinuierlich mit neuen Modulen. Gerade kam ein rhythmischer Reverb, davor mit dem „Liquid“-Modul ein ebenso rhythmischer Phaser/Flanger dazu.
Was Vielfalt und Umfang betrifft, hat kaum ein Multi-Effekt in den letzten so eingeschlagen wie Infiltrator 2. 54 Effekte, über 1500 (!) Presets, die von Glitch-Vernichtern über Distortion-Wundertüten bis hin zu Ambient-Maschinen reichen, und ein extrem komplexes Modulationssystem stecken in diesem Effekt. Hier findet man für jeden Anwendungsfall Vorlagen – und nebenbei spielt die Qualität der Effektmodule ganz oben bei den Multi-Effekten mit.
Von Wurmlöchern und Gemorphtem – die Plugins von Zynaptiq
Wenn es um Hall-Effekte geht, stellte man bei Plugins lange den Anspruch, dass sie jede Kirche, jeden Konzertsaal möglichst naturgetreu nachbilden sollten. Ob per Algorithmus oder Impulsantwort: Hauptsache echt sollte es klingen. Seit einigen Jahren brechen Programmierer aus diesem Credo aber vermehrt aus. Zynaptiq hat mit Wormhole eine besonders abgefahrene Version herausgebracht. Legt ihr Wormhole auf einen Drumloop, macht es daraus eine Orgelpfeife.
Morph 2 wiederum, ebenfalls von Zynaptiq, setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Zwischen zwei Quellen lässt sich über verschiedene Algorithmen spektral hin- und hermorphen: Ein Vocal mit dem Bellen eines Dackels gemoprht, ein Wiehern mit einer Klaviermelodie – die Resultate haben oft wenig mit dem Original zu tun, klingen aber (manchmal) viel interessanter.
Echos mit eigenem Willen – Delays, die anders klingen
Die Freeware Supermassive von Valhalla hat hier bereits eindrucksvoll gezeigt, wie kreativ man Delay, Reverb und Modulation mischen kann. Auch die kommerzielle Version Vallhalla Delay bringt eine Vielzahl an Presets und Delay-Modi mit, die aus Echos glitzernde, wabernde, wunderschön verschmierte Pads machen.
Replika XT von Native Instruments bringt neben den fünf Algorithmen sechs Effekte mit, die sich auf die Echos legen lassen. Liebliche Gitarrenweisen verwandeln sich in gigantisch, verstörende Lofi-Flächen. In eine ähnliche Kerbe schlägt Other Desert Cities von Audio Damage. Echos vorwärts, rückwärts, granuliert, eiernd wie bei alten Tape Echos und das alles moduliert, bis kein Echo mehr gerade klingt.
Noch einen Schritt weiter geht Late Replies von Blue Cat Audio. Der Effekt gehört zur Gattung der Tap Delays. Seine Besonderheit ist, dass man den Rhythmus des Delays, anders als bei den geraden Echos der meisten Standard-Delay-Effekte, selbst bestimmen kann. Late Replies erzeugt einen Rhythmus aus 8 Taps. Und jeder Tap kann mehr als eine eigene Tonhöhe und eine Panning-Position bekommen. Dazu werden über 30 Effekte mitgeliefert. So erhält Tap 1 einen Distortion-Effekt, Tap 3 einen Reverb und Tap 8 einen Flanger, während alle acht Taps in der Tonhöhe absteigen. Wem das nicht reicht: Als Tap-Effekte könnt ihr auch externe Plugins in Late Replies laden.
Mach mir mein Monster – Stimmeffekte
Eine Monsterstimme ist leicht gemacht: Oktave tiefer, etwas Verzerrung, etwas dumpfen Hall, fertig ist der Alptraum. Aber oft hört man noch zu vielen Stellen, dass der Pitch-Algorithmus etwas ungenau war, das Ganze mehr nach umgekehrtem Helium-Ballon als nach Thanos klingt. Stichwort Thanos: Laut Eigenwerbung von Krotos wurde dessen Stimme, also die Stimme von Schauspieler Josh Brolin, durch den Dehumaniser gejagt, um dem nihilistischen Riesen die passende Größe in der Stimme zu verleihen.
Wer es musikalischer mag, sollte sich mit Virta auseinandersetzen. Das Plugin ist eine Mischung aus Vocoder, Autotune-Effekt, und Synthesizer. Eine Gesangslinie mal eben wie ein altes Cello klingen zu lassen, einen klagenden Auto-Tune-Frosch oder eine Schar Vögel ist damit kein Problem.
Fazit
Eigenes Sounddesign wird immer wichtiger. Fertige Loops und Presets sollte man als Producer oder Sounddesigner heute mindestens anpassen und verfremden. Mit den hier vorgestellten Effekten sollte das sowohl in der Musikproduktion als auch im Film- und Game-Sounddesign gelingen.