NEVE als simples Audiointerface? Das gab es bisher nicht! “AMS Neve” gehört nicht gerade zu den progressivsten Audiobrands, oft hat man eher das Gefühl, sie ruhen sich auf ihren alten Klassikern der goldenen Rupert-Zeiten aus und aktualisieren hier und da nur mal das Packaging ihres Outboards – dann aber auch richtig, wie beim 1073OPX, dem achtfach Deluxe-Preamp mit digitalen Recall und Dante-Option.
Das Portfolio ist also weiterhin voll vom 1073 in verschiedensten Varianten – und auch den 2254 und 33609 Compressor oder den RMX16 Reverb gibt es grundsätzlich schon seit Ewigkeiten. Richtig neu ist auch die 88er Serie nicht, aber jetzt auf alle Fälle um den Neve 88M reicher. „M“ wie mobil wahrscheinlich. Ich bin gespannt!
Checkliste zum Kauf von Neve 88M
- USB3-Audiointerface – 10-In/10-Out inkl. ADAT-I/O
- Class-Compliant (Core Audio/ASIO) & Bus-Powered, Leistungsaufnahme unter 900mA
- 2x analoge Preamps mit Marinair-Übertrager, max. 68 db Gain, MIC/Line/DI mit XLR/TRS-Combo-Buchse
- inklusive Stereo-Insert/Return-Loop, sym. TRS
- 1x analoger Stereo-Out/Monitor, regelbar, sym. TRS
- 1x Kopfhörer-Ausgang, regelbar, 6,35mm TRS
- Monitor-Mix für Main und HP gemeinsam
DETAILS
2-in/2-Out plus ADAT
Das Neve 88M ist ein schnörkelloses USB-3-Audiointerface „made in England“ für Auflösungen von bis zu 24 Bit und 192 kHz. Es verfügt über zehn Ein- und Ausgänge, wovon acht auf einen ADAT-I/O entfallen.
Die kompakte Unit ist class-compliant und bus-powered, einen Netzteilanschluss gibt es nicht. Für Windows gibt es Treiber, der Mac braucht sie nicht.
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Dual Mono Input
Es gibt hier tatsächlich nur einen analogen Stereo-Out und einen analogen Stereo-In. Der Input hat es allerdings in sich, weil er zwei „richtige Neve Preamps“ bietet – und zwar die aus der dicken 88R(S) Console. Dazu gleich mehr!
Solo Stereo Out
Ein einzelnes Stereo-Out ist allerdings echt mickrig, weil sich Kopfhörerausgang und Speaker-Out den D/A-Wandler so teilen müssen – getrennte Monitoring-Signale gibt es also nicht. Das ist allerdings auch nicht unbedingt für jeden wichtig.
Man hört auf den beiden analogen Ausgängen, Speaker und HP, also immer dasselbe – je nachdem, was man via Push-Befehl des HP-Reglers auswählt. So gibt entweder nur die Inputs, nur die DAW oder eben auch Beides im „Mix“ zu hören. Einen Mono-Mix gibt es ebenfalls, der die beiden Mic-Inputs summiert, damit man Monosignale nicht nur auf einer Seite hört.
Speaker können symmetrisch und mit großer Klinke angeschlossen werden, der maximale Output liegt bei +18 dBu. In der Mitte hat der Monitor-Level einen Rasterpunkt, welcher -12 dBu markiert und als Referenz zur Speaker-Calibration dienen soll.
Kopfhörer verbindet man mit großer Stereo-Klinke. Im HP-Volume–Regler gibt es einen Rasterpunkt bei -6 dBu vor Vollaussteuerung. Dient ganz gut als kleine Warnung 🙂
THE Preamps
Die Preamps im Neve 88M sind laut Hersteller identisch zu denen der fetten 88RS bzw. 88R, die den legendären 1073 als Vorbild hatten, aber eher Allrounder sind: „etwas“ cleaner und weniger „muffig-wollig“ also.
Trotzdem gibt es hier schon auch dicken Übertrager-Sound mit fetten Mitten und edel-crisper Färbung durch leichter Zerre – abhängig auch davon, wie “heiß” der Marinair-Übertrager angefahren wird. Und da es bis zu 68 dB Gain gibt, kann das schon mächtig werden.
Der Übertrager wird von allen frontseitigen Eingangsarten genutzt, sprich Mic, Line und DI bzw. Instrument. Mikrofone klemmt man wie gewohnt per XLR an die Combo-Buchsen, den Rest per Klinke – wahlweise symmetrisch oder unsymmetrisch. Phantompower gibt es und man kann sie individuell aktivieren – Pad, Trittschall-Filter oder sonstige Extras bekommt man nicht.
Plug Me in Between
Richtig nice sind die Inserts zwischen Preamp und Wandler auf der Rückseite: symmetrisch und somit mit je einer Buchse für Send und Return versehen. Der Send ist permanent aktiv und fungiert auch als Splitt-Point, der Return by-passed bei Bedarf den Übertrager. Anderseits kann man so auch einen Mono-Compressor in den Signalpfad holen und sowohl davor als auch danach gleichzeitig aufnehmen. Sehr gut!
Eine kleine Ampel-LED gibt Auskunft über den Pegel am Preamp bzw. Post-Insert – grundsätzlich aber immer noch vor dem AD-Wandler. Die Kalibrierung ist auf 0 dBFS ausgelegt, sodass man auch sieht, wann der Wandler clipped.
Etwas mehr Headroom zum Wandler wäre sicherlich nicht schlecht gewesen, einen weiteren Volume-Regler zur Absenkung eines besonders heiß gefahrenen Peamps gibt es nämlich nicht. Das könnte man bei Bedarf aber auch mit einem Dämpfungsglied im Insert „faken“.
Size Matters
Das Gehäuse des 88M ist grundsätzlich kompakt und handlich. Mit einem Gewicht von 1,68 kg und Abmessungen von 182 x 203 x 76 mm BTH ist es dennoch größer als typische Mitbewerber mit zwei Kanälen.
Der Unterschied ist, dass die bei weitem nicht solche Preamps oder gar Übertrager mit einbauen. Ich finde die Größe dafür recht „professionell“, um dieses ausgelutschte Attribut mal wieder ernsthaft anzubringen.
Auch die fette und griffig-knautschige „Gummi-Kunstleder“-Hülle macht einen massiven Eindruck, liegt gut in der Hand und verzeiht sicherlich auch einen etwas rabiateren Umgang. Nicht unbedingt das kleine Besteck, aber es verrutscht auch nicht, wenn man hinlangt. Ach – und NEVE steht auch fett auf der Seite drauf.
Heimaufnahme sagt:
#1 - 19.03.2023 um 10:51 Uhr
"Für Klassikaufnahmen ist das hier vielleicht nicht unbedingt die erste bzw. transparenteste Wahl" Finde ich eine schwierige Bemerkung, denn natürlich wurden in der Vergangenheit Klassikaufnahmen auf Neve-Pulten gemacht, sogar auf 1073ern. Aber natürlich werden auf dem Neve88RS-Pulten in den Abbey-Road-Studios, woher diese Preamps ja kommen, ständig Orchesteraufnahmen, insbesondere für Filmmusik gemacht.