In unserem Workshop soll es nicht nur um ein paar heiße Neo-Soul-Licks gehen, die sehr starke Anleihen an Gospel-, Blues-, Jazz-, aber auch Hendrix-artige Akkord-Fills beinhalten. Auch die charakteristischen Ampsounds, Spieltechniken und harmonischen Charakteristiken des Neo-Soul stehen im Fokus.
Über die Entstehung der Stilrichtung “Neo Soul” scheiden sich die Geister. Einige datieren den Ursprung bereits auf die 80er- und frühen 90er-Jahre mit Künstlern wie Prince, Jamiroquai oder Brand New Heavies, wohingegen andere eher in Erykah Badu, D’Angelo, Maxwell oder Lauryn Hill die Wurzeln sehen.
Fakt ist, dass der Begriff Ende der 90er von dem Plattenproduzenten Kedar Massenburg, dem ehemaligen Chef des Motown-Labels geprägt wurde, um die neue Musikrichtung etwas abzugrenzen. Denn Neosoul beruft sich zwar auf die alten Soul-Giganten wie Marvin Gaye, Gil Scott-Heron, Al Green oder Stevie Wonder, hat jedoch auch starke Wurzeln im Hip-Hop und lehnt sich harmonisch stellenweise weiter aus dem Fenster als die Urväter.
Mittlerweile zählt man auch spätere Soul-beeinflusste Künstler wie Amy Whinehouse, Jill Scott oder John Legend zu diesem Subgenre, wobei die Haupt-Popularität des Neosoul eher in den Jahren 1995-2010 liegt.
Natürlich hat diese Stilrichtung auch tolle neue Gitarristen hervorgebracht, darunter Namen wie Dave Manley, Erick Walls, Isaiah Sharkey oder Jairus Mozee.
Get the Sound
Um den typischen Neo-Soul-Sound zu bekommen, könnt ihr euch an den großen Vorbildern des Genres orientieren. Hier wird euch auffallen, dass es in puncto Gitarre sowohl Strat- wie Telespieler gibt, aber auch semiakustische Jazzgitarren im ES-335 Stil oder sogar Vollresonanzmodelle. Sicherlich ist das Instrument eine Frage des Geschmacks: Wer es gerne etwas runder, voller und „bauchiger“ will, kann zu Jazzgitarren greifen, wer es etwas moderner will, kann Strat-artige Gitarren oder moderne Strat-Typen wie von Suhr, Ibanez AZs oder Charvel verwenden. Mit an Bord sind hier die Split-Stellungen, die sehr glasig klingen, oder der Halstonabnehmer für etwas weichere Sounds.
Was die Verstärker anbelangt, eignen sich Fender-eske Cleanmodelle besonders gut, wobei sich der Ampsound auch durchaus, je nach Geschmack, etwas in den Break-Up begeben kann.
An Effekten hilft ein Kompressor am Anfang der Effektkette dabei, dem Sound etwas Fülle und Spritzigkeit zu verleihen. Auch ein mild eingestellter Overdrive mit Gain-Regler auf Minimalwert kann einen ähnlichen Effekt erzeugen.
Moderne Neo-Soul-Sounds kommen oft mit großen Hallräumen, weshalb das Herumprobieren mit diversen Reverbs durchaus Sinn macht.
Betrachtet man die gitarristische Spielweise im Neo-Soul, trifft man auf eine sehr interessante Mischung der Genres. Einerseits werden viele Akkorde und solistische Elemente dem Jazz entliehen und es macht Sinn, sich mit Gitarristen wie Joe Pass, George Benson, Pat Martino oder Wes Montgomery auseinanderzusetzen, will man die Harmonik und Melodik verstehen. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn viele der Ur-Soul-Gitarristen waren primär von Jazzmusikern beeinflusst. Allerdings gesellen sich doch in einem wesentlich höheren Maße typische Wendungen aus dem Gospel- und Bluesbereich ins Spiel. Daher finden sich auch in den Solo-Lines vereinzelt Bebop-Elemente, die jedoch viel stärker von pentatonischen Wendungen und Blueslicks durchsetzt sind.
Akkordvoicings und Verzierungen
Im Neo-Soul begegnen uns gehäuft Akkordverzierungen, die sich um zwei oder drei Optionstöne drehen. Dabei werden diese Ausschmückungen meist sehr schnell legato auf den höheren Saiten gespielt und haben stellenweise einen schon fast harfenartigen Effekt.
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a) Maj- Akkorde
Hier bietet sich die Umspielung der Sexte an, die zu maj7 wird:
Eine andere Variante entspringt einem maj7-Drop-2-Voicing und verwandelt den Akkord von einem maj7sus2 zu einem maj7:
Auf dem letzten Akkord lassen sich natürlich auch längere Triller bilden, wenn man Sexte, Terz und Grundton in die Verzierung packt:
b) Dom7-Voicings
Für Dominantseptakkorde gilt im Prinzip das Gleiche wie für die maj-Voicings: Sexte (13), Terz und Grundton lassen sich diesmal mit der kleinen Septime herrlich um-“trillern”:
c) m7-Voicings
Sehr beliebt ist hier die Umspielung der None oder der Septime bei einem Drop-3-Voicing:
Beim m7-Drop-2-Voicing kann man, ähnlich wie beim maj7-Akkord die höchsten drei Saiten integrieren:
Double-Stop und Pentatonik-Tricks
Zweistimmige Elemente sind immer sehr dankbare Verschönerungen, mit denen man sehr gut auch Gesangspausen füllen kann. Viele dieser Licks entstammen dem Gospelvokabular und wurden von Musikern wie Jimi Hendrix ins feste Gitarristen-Vokabular zementiert. Da die typischen Hendrix-Fills bereits Gegenstand eines ausführlichen Workshops waren, wollen wir uns hier mit ein paar pentatonischen Double-Stops beschäftigen.
Als Vorübung würde ich empfehlen, zunächst die fünf Pattern der Pentatonik innerhalb einer Lage zweistimmig durchzuspielen. Ihr erhaltet dadurch vornehmlich Quarten, aber auch Terzen. Hier ein Beispiel für Am in der V. Lage:
Auch horizontal über das Griffbrett macht diese Übung Sinn:
Nun kombinieren wir das Ganze mit einem Akkordpattern und bringen diese Bausteine in musikalischen Kontext. Hier ein Lick über Cm unter der Verwendung unserer Pentaquarten:
Slides
Eine besondere Trademark des Stils ist sicherlich auch das chromatische Verschieben von Akkorden oder Double-Stops. Im folgenden Beispiel bewege ich mich in Bm, umspiele den Akkord chromatisch und hänge noch eine kleine Melodielinie an:
Chromatische Double-Stops sind ebenfalls sehr gerne gesehen. Diese können aus den in Punkt 4 thematisierten Pentatonikquarten kommen:
Oder aus Vierklangsarpeggios, die zweistimmig gespielt werden:
Akkord-Lines
Gelegentlich bedienen sich Neo-Soul-Gitarristen mehrer Akkordvariationen mit einer schönen Melodie in der Oberstimme, die sie dann über einer Harmonie abfeuern.
Dies kann wahlweise durch Umkehrungen der Akkorde geschehen, mit denen man bei Akkordklischees landet, wie man sie schon bei Joe Pass hören kann:
Andere Akkordwendung bestehen aus Akkordpendeln, das heißt, man nimmt den Akkord der jeweiligen Harmonie, über die man spielt, und verknüpft ihn mit einem sogenannten Pendelakkord. Bei Durakkorden funktioniert das sehr gut mit dem Mollakkord, der einen Ganzton darüber liegt. Hier ein Beispiel, bei dem ein A-Dur mit einem Bm pendelt:
Geht es um Mollakkorde, bietet sich der Durakkord einen Ganzton unter der Harmonie an, z. B. Am mit G-Dur:
Sololines
Wie eingangs erwähnt, entstammen viele Lines dem Be-Bop- oder Hard-Bop-Vokabular, allerdings ergänzt der Neo-Soul diese Lines noch um ein paar gitarristische Eigenheiten, wie das stärkere Integrieren von pentatonischen und bluesigen Elementen sowie das Ineinander- und Überklingen gewisser Parts.
Hier eine jazzige Line mit ein paar Blues-Elementen:
Und eine Line, die sich schön zu einem Akkord auffaltet:
Mixed Licks
Hier seht ihr drei Licks, die stark von diesem Genre inspiriert sind. Die Audio- und Videobeispiele stammen von Eugene Caberra. Mehr Material dieser Art findet ihr auf seinem YouTube Kanal Caberra TV
Lick 1
Im ersten Lick findet ihr ein Akkordpendel, bestehend aus E-Dur- und F#m-Dreiklängen über einem Emaj7-Akkord:
Lick 2
Das folgende Beispiel ist eine rhythmisch freie Phrase über einer II-V-I Kadenz in A-Dur, also Bm9-E9-Amaj7
Lick 3
Hier seht ihr einen Lauf in der C-Dur-Pentatonik, der von einem Gospel- oder Hendrix-artigen Akkordfill abgeschlossen wird. Danach folgt ein Em7-Arpeggio, das chromatisch etwas angereichert ist: