Alle kennen und schwören auf Legenden und Synthesizer-Flaggschiffe wie den Oberheim OB-X, den SCI Prophet-5, den Roland Jupiter-8 oder den Memorymoog. Doch gibt es auch noch weitere erhabene polyfone Synthesizer, die man heute ganz einfach per Software kennenlernen und in der Musikproduktion so viel effektiver verwenden kann als die seltenen Originale: Polymoog, Synthex oder CS-80 – sie schrieben Geschichte.
Einige der besten virtuellen Instrumente mit Kultstatuts stellen wir anhand von zahlreichen Hörbeispielen vor. Es sind keine Sample-Bibliotheken, sondern Synthesizer, die praktisch jedes Detail der Klangerzeugung emulieren und noch zusätzliche Features bieten.
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Das Preset-Monster von Moog: Polymoog
Abseits von Mini- und Memorymoog steht der Polymoog, von dem zwischen 1975 und 1981 etwa 3.000 Exemplare gebaut wurden. Noch nie gehört? Nun, dieser analoge Synthesizer mit 71 Tasten erinnert optisch und wegen seiner Presets durchaus an eine damalige Heimorgel, hat aber klanglich deutlich mehr Potenzial.
Zum Einsatz kommen zwei Sägezahn/Pulswellen-Oszillatoren mit einer Frequenzteilerschaltung, dank der die 71-fache Polyfonie erreicht wird. Den eigentlichen Akzent setzen die Resonatoren für drei Frequenzbereiche (Low, Med, High). Dies ist eine Resonatorbank, die das klassische Tiefpassfilter ergänzt. Mit diesen Resonatoren unterscheidet er sich klanglich von den bekannteren Moog-Synthesizern. Nicht vielseitig, aber speziell und charakterstark – so der Polymoog-Sound.
Ein Beispiel gibt Gary Numans Debüt-Single “Cars” von 1979 mit den markanten Streicherlinien. Die Presets des Originals konzentrieren sich auf die Imitation von Streichern, Bläsern, Orgeln oder Klavieren. Somit wendet sich der Polymoog ursprünglich an traditionelle Musiker, die die gesamten 71 Stimmen des Instruments schätzen.
Den Polymoog gibt es als Emulation für Windows- und Mac-Rechner. Einen finanziell attraktiven Einstieg bei rund 50 US-Dollar bietet der Cherry Audio Polymode. Das Benutzer-Interface erinnert sofort an den Polymoog und erlaubt ein relativ angenehmes Editieren. Zwar geht auch der Sound in Richtung Polymoog, doch wirken Oszillatoren und Filter bei Cherry Audio eher künstlich beziehungsweise nicht so organisch und lebendig, was auch die Audio-Demos belegen.
Besser, aber auch teurer ist der Poly M der französischen Firma Xils-Lab, der auch als VST-Effekt-Plugin verwendbar ist. Mit seinem warmen nostalgischen Sound ist er ziemlich dicht am Original und liefert über 200 Presets, die gewiss nicht in jedem x-beliebigen VA-Synth findet.
Das GUI ist etwas weniger einladend als bei Cherry Audio, es lohnt aber, sich mit den Klang- und Effektparametern zu beschäftigen, zumal der Poly M einige Modulationenverknüpfungen bietet, die es Mitte der 1970er allenfalls bei Modular-Systemen gab.
Mit einem Straßenpreis von deutlich über 100 Euro ist er kein Schnäppchen, das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt aber in jedem Fall. Xils-Lab PolyM bei Thomann.de
Die späte Antwort aus Europa: Elka Synthex
Als der Yamaha DX7 bereits für Aufsehen gesorgt und für digitale Synthesizer begeistert hatte, kam 1984 das Flaggschiff aus Italien: Ausgerechnet der für elektronische Orgeln bekannte Hersteller Elka überrascht mit dem Synthex – klanglich überzeugend, wirtschaftlich ein Flop. Er bietet eine achtstimmige Klangerzeugung, die sich ähnlich wie beim Roland Jupiter-8 zweifach für Split- und Layer-Kreationen verwenden lässt.
Die beiden DCOs sind wandlungsfähig (PWM, Sync, Ringmodulation) und ermöglichen sogar eine Crossmodulation der Pulsbreiten. Die Filtersektion ist vielseitig (Tief-, Hoch- und Bandpass). Hinzu kommen je zwei LFOs und Hüllkurven sowie ein dreistufiger Chorus als Effekt. Anstelle eines Arpeggiators findet man beim Synthex einen Sequencer. Der Elka Synthex ist ein polyfoner Allrounder und liefert satte Pads, druckvolle Bässe oder spezielle Leads. Bekannt macht ihn seinerzeit Jean-Michel Jarre, vor allem mit dem Factory Preset zur “Laserharp”, einem mächtigen Oszillator-Sync-Klang.
Xavier Odin von Xils Lab hat seinen Software-Synth Syn’X 2 für Mac und Windows ganz nach dem Vorbild des Elka Synthex entworfen. Dabei hat er sich zusätzlich von den Modulationsmöglichkeiten eines Oberheim Matrix-12 inspirieren lassen und diverse Extras gegenüber dem italienischen Original hinzugefügt: mehr Wellenformen für DCOs und LFOs, einen Unisono-Mode, einen Dual-Arpeggiator, ein als Modulationsquelle nutzbarer Mehrspur-Sequencer sowie weitere Effekte wie Phaser oder Delay.
Insgesamt ist der Xils-Lab Syn’ X2 die einzige souveräne Antwort auf die Frage, wie man den Elka Synthex emulieren und aktualisieren kann. Wem dieses Softwareprodukt zu teuer ist, kann die Light-Version miniSyn’X von Xils-Lab nehmen. Wir haben einige seiner rund 300 Factory Presets angespielt –für kernige, druckvolle Retro-Sounds ist er wirklich klasse.
Xils-Lab miniSyn’X bei Thomann
Der Blade Runner-Synth: Yamaha CS-80
Der zwischen 1977 und 1980 produzierte Yamaha CS-80 ist wegen seines Kampfgewichts von rund 100 kg ein Albtraum für Roadies. Von technischen Wartungsarbeitungen und häufiger Verstimmung möchten wir erst gar nicht sprechen. Für eine lebendige Performance ist der CS-80 aber richtig klasse. Seine schwergängige Tastatur reagiert neben Anschlagdynamik auf polyfonen Aftertouch und wird um einen großen Ribbon-Controller ergänzt. Dabei fühlt er sich wie ein klassisches Musikinstrument an.
Dank dem CS-80 hat der griechische Komponist Vangelis mit seinen Soundtracks zu “Blade Runner” und “Chariots of Fire” erschaffen. Für Synth-Liebhaber liefert das Blade-Runner-Thema den prominenten CS-80-Sound schlechthin. Trotz persönlicher Wertschätzung verrät Vangelis im Bonedo-Interview auch drei wesentliche Faktoren für den Misserfolg des Yamaha CS-80, der hauptsächlich in Tonstudios eingesetzt wurde. Zu hören ist er auch bei Peter Gabriels Album SO oder bei “Billie Jean” von Michael Jackson.
Wer Klang und Parameter des CS-80 für das eigene Studio haben möchte, kann sich diesen Wunsch nun erfüllen: Der CS-80 V von Arturia ist sowohl als einzelnes Softwareprodukt als auch in der Arturia V-Collection erhältlich, die sich im Bonedo-Test als ein „Volltreffer“ bewiesen hat. Soundtüftler können sich hier austoben, auch wenn bereits viele unterschiedliche Factory Presets vorhanden sind.
Eine preiswerte Alternative (rund 40 US-Dollar) zum Arturia CS-80V ist der ME80 der norwegischen Softwareschmiede Memorymoon. Wenn es um die charismatischen Presets im Vangelis-Style geht, ist dieser Software-Synth dank Presets bereits überraschend gut ausgestattet. Er bringt das Wesen des Yamaha-Riesen ein wenig schneller auf den Punkt als der Arturia CS-80V.
Synthesizer-Flaggschiffe – Soft-Synths im Vergleich
Das kleine Flaggschiff: Roland Jupiter-6
Alle reden vom Roland Jupiter-8 als Heiligen Gral polyfoner Analog-Synthesizer. Der japanische Konzern Roland bietet aber noch mindestens ein weiteres charismatisches Modell, das Cherry Audio mit viel Herzblut emuliert und im Frühjahr 2023 veröffentlicht hat.
Wie sein historisches Vorbild klingt der Cherry Audio Mercury-6 anders als der Jupiter-8. Der Soundcharakter ist eigenwillig und kann öfter als „drahtig und mittig“ beschrieben werden – eine durchaus sinnvolle Ergänzung zu den vielen Emulationen analoger Schlachtschliffe. Diesen Spaß kann man sich auch noch leisten: Der Cherry Audio Mercury-6 kostet maximal 69 Euro. So günstig wird das Pedant in der Roland-Cloud nie werden.
Schlusswort
Dank Softwareentwicklung sind einst unterschätzte Synthesizer-Flaggschiffe heute in der Musikproduktion verfügbar – nun endlich technisch zuverlässig und dabei auch noch bezahlbar. Die Klänge von Polymoog, Synthex oder CS-80 bereichern definitiv das Preset-Angebot im modernen DAW-Haushalt und liefern so auch einige sinnvolle Brot- und Butter-Sounds. Mit dem Mercury-6 von Cherry Audio gibt es die einmalige Chance, den Roland Jupiter-6 als Plugin kennenzulernen.