Warum USB-Mikrofone schlechter sind als klassische XLR-Mikros

Vorteile und Nachteile von USB-Mikros – Wenn Sprache oder Gesang mit dem Computer oder dem Tablet in guter Qualität aufgenommen werden sollen, sei es für Content wie Podcasts, Let’s-Plays, Video-Nachvertonungen oder eben doch das Recording für die Band, dann landet man schnell beim USB-Mikrofon.

Pro_Contra_USB_Mikrofon_Ratgeber
Inhalte
  1. Was ist ein USB-Mikrofon?
  2. Usability von Podcast-/USB-Mikrofonen: Ja wirklich?
  3. Das Monitoring mit USB-Mikrofonen: oft suboptimal
  4. Klangqualität von USB-Mikrofonen
  5. Durch USB-Mikrofone: tontechnische Arbeit wird eingeschränkt, Entwicklung behindert
  6. Zukunftssicherheit und Nachhaltigkeit
  7. Vorteile USB-Mikro vs. Vorteile XLR-Mikro (Tabelle)
  8. Hilfreiche Links

Sicher gibt es einige Vorteile der Plug’n’Play-Mikros, doch es gibt auch eine Reihe gravierender Nachteile. Und auf genau diesen will ich einmal herumreiten – denn nicht alles, was aktuell und praktisch ist, ist automatisch besser.

Wenn ihr euch nicht abbringen lassen wollt oder euch einfach die Frage “USB-Mikro oder XLR-Mikro” schon beantwortet habt, ist dieser Vergleichstest euer Ding:
Kaufberater: Die besten USB-Mikrofone

Was ist ein USB-Mikrofon? Wo ist der Unterschied zu einem “normalen” Mikro?

Ein USB-Mikrofon vereint die Bestandteile Mikrofon, Mikrofonvorverstärker und Audio-Interface in einem Gerät. Damit kann es direkt an einen Computer oder ein Mobilgerät angeschlossen werden.

Was ein USB-Mikrofon von der althergebrachten, normalen XLR-Lösung unterscheidet

Ein USB-Mikrofon erscheint demjenigen, der sich zuvor nie mit der Materie befasst hat, einfach und logisch, die eigentlich althergebrachte technische Lösung dagegen unnötig kompliziert. Klar: Wenn ich eine Tastatur habe, die die Information über meinen Tastendruck direkt über USB an den Computer kabelt, dann kann das ein USB-Mikrofon mit dem, was ich sage oder singe, wohl genauso tun. Stimmt – und wird ja auch so gemacht.
Das „normale“ Mikrofon wird über ein XLR-Kabel mit einem Mikrofonvorverstärker verbunden. In manchen Fällen muss man dem Mikrofon eine Spannung bereitstellen, damit es funktioniert. Hinter diesem Mikrofonvorverstärker besitzt das Signal sogenanntes „Line Level“ und kann an andere Geräte geschickt werden oder an Analog-digital-Wandler, bzw. Audio-Interfaces mit entsprechenden Analogeingängen. Viele Audio-Interfaces besitzen heute eingebaute Mikrofonvorverstärker.
Der auch heute noch übliche Anschluss an den Computer erfolgt über USB, in manchen Fällen auch andere Schnittstellen. Ein USB-Mikrofon ist quasi alles in einem Gehäuse. Die Mikrofonkapsel, die Schall in Spannung umsetzt, eventuelle Mikrofonelektronik, Mikrofonvorverstärkung, AD-Wandlung und Interfacing für den Computer sind dabei in einer praktischen Kiste untergebracht, die auf dem Mikrofonstativ Platz findet und nur per USB angeschlossen werden muss.

Usability von Podcast-/USB-Mikrofonen: Ja wirklich? 

Eines der Hauptargumente für den Kauf eine USB-Mikrofons ist die Usability (“Praktikabilität”). Man hat nur ein Gerät, das alles liefert, steckt es ein und kann loslegen. Wer schon einmal die oft fummelige Bedienung auf der Vorderseite, Rückseite oder Seite (oder sogar Kombinationen davon!) eines USB-Mikrofons durchführen musste, der weiß, dass das nicht unbedingt ein Ergonomievorteil ist. Weil ein externes Audiointerface auch beim Sprechen oder Singen im Blick und Zugriff sein kann, ist das für den Workflow häufig angenehmer. Außerdem gibt es bei jedem mir bekannten Mikro starke Körperschallübertragungen, wenn man nur mal eben das Kopfhörerlevel ändern will.

USB-Mikrofon Beyerdynamic Fox
USB-Mikrofon Beyerdynamic Fox

Das Monitoring mit USB-Mikrofonen: oft suboptimal

Es gibt USB-Mikros, bei denen ist ein Monitoring sehr rudimentär oder gar nicht vorgesehen. In diesen Fällen gibt es keine direkte Kontrolle. Zwar ist es in den meisten Aufnahmeprogrammen, die eine halbwegs professionelle Signalflussstruktur mit sich bringen, möglich, das eingehende Signal über Kopfhörer wieder auszugeben. Dieser kann ja bei fast allen Computern und Tablets direkt angeschlossen werden. Allerdings liegen dann AD- und DA-Wandler, diverse Bearbeitungsschritte und Buffer in diesem Signalweg.
Durch dieses „Software-Monitoring“ kommt das Signal dann mit wahrnehmbarer Verspätung („Latenz“) auf den Kopfhörer, was ein Sprechen oder Singen schwierig bis unmöglich macht. Und klar: Will man singen, tut man das meist zu einer Playbackspur, um rhythmisch und tonal richtig zu liegen. Gibt es diese Möglichkeit nicht durch das USB-Mikrofon, wird es mit Musikaufnahmen meistens Essig, denn alle denkbaren Workarounds sind doch sehr wenig zufriedenstellend.  
Und wer getrennte Räume hat, kann mit USB-Mikrofonen meist die klassische Aufnahmesituation vergessen: Über Splitter kann man zwar einen zweiten Kopfhörer an eine Buchse des Mikros anschließen (aus Impedanzgründen schon nicht optimal!), aber wer latenzfrei über Lautsprecher mithören will, wird feststellen, dass es dafür an keinem USB-Mikro Anschlussmöglichkeiten gibt.

USB: Nicht unbedingt die praktischste und beste Lösung
USB: Nicht unbedingt die praktischste und beste Lösung

Weitere Probleme des Monitorings: Es ist auf Kopfhörer beschränkt – und dazu noch auf einen einzigen. Will jemand als Engineer mithören oder ebenfalls sprechen oder singen und vielleicht eine andere Mischung haben, dann geht das nicht. Was auch ein Problem ist: Will man jemanden Aufnehmen und dabei über Monitorboxen hören, wird es auch kompliziert, weil die Struktur von USB-Mikros das nicht vorsieht – die aktueller Audio-Interfaces jedoch fast immer.

Klangqualität von USB-Mikrofonen

In der Theorie gibt es kaum etwas am Konzept des USB-Mikrofons zu bemängeln, was den Unterschied in der Soundqualität zu klassischen Mikrofonen angeht. Ob die Vorverstärkung und die AD-Wandlung nun in einer externen Kiste geschieht oder direkt im Mikrofon, ist schließlich herzlich egal. Dass das alles auf engstem Raum und mit nur wenig Stromverbrauch geschehen kann, ist auch kein treffendes Argument, denn beispielsweise das Preamp-Wandlersystem HAPI – Kostenpunkt über 6000 Euro – ist ebenfalls ganz schön klein und verbraucht 30 Watt für 16 Kanäle. Und es klingt unfassbar gut.
Häufig steht aber die Preisgestaltung eines USB-Mikros sehr im Vordergrund, weshalb im Zweifel eher mittelmäßige Preamp- und Wandlerstufen verbaut werden. Das kann man teilweise deutlich hören. Manchmal werden sogar sehr alte, technisch überholte Bauteile verwendet, die teilweise sogar nur mit 16 Bit statt mit den heute üblichen 24 wandeln.
Und damit zeigen sich quasi schon die nächste Probleme: Vorverstärkung und digitale Auflösung! Um einen AD-Wandler sinnvoll auszunutzen, muss das Mikrofonsignal per „Gain“ durch einen Mikrofonvorverstärker auf ein so hohes Level gebracht werden, dass es einerseits einen hohen Abstand zu Rauschen und Quantisierungsverzerrungen hat, andererseits nicht über das maximal darstellbare Level hinausschießt, was äußerst unangenehmer Verzerrungen („Clipping“) zur Folge hat. Besitzt ein USB-Mikro diese Möglichkeit nicht, wird man entweder ein fix und aus „Sicherheitsgründen“ viel zu gering ausgesteuertes Signal haben oder kann lautere Quellen nicht aufnehmen. Oder beides.

Durch USB-Mikrofone: tontechnische Arbeit wird eingeschränkt, Entwicklung behindert

Das sind harte Worte in der Absatzüberschrift, aber sie sind treffend: Der Tontechniker kann aus Equipment-Kombinationen auswählen, indem er sich überlegt oder einfach mal ausprobiert, welches Mikrofon mit welchem Preamp dem Aufnahmezweck am besten gerecht wird. Gut: Wer gerade ein erstes Mikrofon und ein kleines Audio-Interface mit eingebautem Preamp sein Eigen nennt, der kann das auch nicht. Aber der kann erweitern!
Wenn das Geld da ist, wird vielleicht in einen charaktervollen Vorverstärker investiert (wie den Fredenstein V.A.S.) oder einen kleinen Channelstrip, ein API-Series-500-Modul. Oder es wird ein weiteres Mikrofon dazu gekauft, weil festgestellt wird, dass das Großmembran-Gesangsmikrofon manchmal einem Tauchspulenmikrofon wie dem EV RE20 oder dem Shure SM7B doch unterlegen ist. Oder das kleine Budget-Audio-Interface wird ausgetauscht, weil man ein neueres, besseres anschafft, eines mit DSP-Funktionen (wie das UA Apollo) oder einfach mehr Ein- und Ausgänge benötigt. Auch blöd: Da hat man mit einem USB-Mikro vielleicht einen Schallwandler, der passend ist, aber dieser ist einkanalig. Eine Stereo-Atmo damit aufnehmen, Akustikgitarre an Steg und Korpus mikrofonieren? Vielleicht sogar mal ein wenig zusätzliches Equipment leihen oder kaufen, um ein Drumkit oder eine komplette Musikgruppe aufzunehmen? Das geht fast nicht, die möglichen Ansätze, etwa die Verwendung eines „Aggregated Device“ unter Mac OS sind nicht wirklich zufriedenstellend. Etwas abwechseln, ausprobieren oder upgraden? Mit USB-Mikrofonen ist das oft nahezu unmöglich und das spricht dagegen, sie überhaupt erst anzuschaffen.  

Na, welchen Stecker werdet ihr in ein paar Jahren oder Jahrzehnten wohl noch eher verwenden können?
Na, welchen Stecker werdet ihr in ein paar Jahren oder Jahrzehnten wohl noch eher verwenden können?

USB-Mikrofone: Zukunftssicherheit und Nachhaltigkeit?

Versucht im Jahre 2052 mal, ein USB-Mikro in Betrieb zu nehmen. Mit einem Schoeps Colette wird euch das wahrscheinlich noch recht problemlos gelingen. Es ist schon davon auszugehen, dass der USB-Standard durchaus noch ein paar Jahre überlebt. Allerdings sind auch aktuelle Standards irgendwann obsolet. Das kann jeder nachvollziehen, der beispielsweise den Midiman Portman 4×4 anschließen will. Das 1996 auf den Markt gekommene Gerät war eines der timingstabilsten und problemlosesten MIDI-Interfaces, aber für den „Druckerport“ von PCs entwickelt.
3,5“-Disketten und viele andere Beispiele mehr machen klar: Jede Technik hat nur eine gewisse Lebensdauer. Dass ein XLR-Anschluss und Mikrofonvorverstärker irgendwann gänzlich aus der Welt verschwinden, erscheint unwahrscheinlich. Selbst wenn sich Formate ändern, wie von Tuchel- auf XLR-Buchsen- und Stecker: Adapter kann man umlöten oder entsprechende Kabel kaufen. Dass eines Tages die Armee an weltweit verfügbaren Mikrofonvorverstärkern verschwindet, erscheint nicht plausibel. Wer drückt schon einen Tube-Tech MP-2A oder einen UA 610 in die Tonne, weil es mittlerweile USB-Mikros gibt? Und auch der professionelle AES42-Standard für digitale Mikrofone und die ins Haus stehende Verbreitung von Audio-over-Ethernet werden sehr wahrscheinlich nicht die Ära einläuten, in der ein Neumann U 87 im Schrank bleibt oder direkt in die Studiovitrine oder an die Wand kommt.
Die Felder Investitionssicherheit und Nachhaltigkeit sprechen also eindeutig gegen USB-Mikros. Und was ist im Falle eines Defekts an einer Stelle im USB-Mikrofon? „Nur kurz nutzen, neu kaufen statt zu reparieren“ machen wir schon bei Smartphones (sowie Haushalts- und Küchengeräten und mittlerweile ja sogar Autos!) viel zu häufig…

USB-Mikro oder XLR-Mikrofon mit Audio-Interface: Fazit

Es erscheint also sinnvoll, sich genau zu überlegen, ob man nicht ein, zwei Kisten und Kabel mehr auf dem Schreibtisch und im Rucksack hat und wahrscheinlich den einen oder anderen Geldschein mehr in die Hand nimmt. Ich will hier niemandem pauschal abraten, doch sind dies Argumente, die einen im Zweifel doch eher vom Kauf des All-in-one-wunschlos-glücklich-Pakets abhalten und zu klassischeren Lösungen greifen lassen. Es gibt natürlich auch Alternativen und Zwischenlösungen. Eine sinnvolle sehe ich in den Mic-Plugs wie dem Shure X2U, das sind quasi „USB-Mikrofone ohne Mikrofon“.

Vorteile USB-Mikro vs. Vorteile XLR-Mikro

Hier findet ihr noch einmal die Vorteile der jeweiligen Systeme in einer Tabelle gegenübergestellt – womit dann auch die Nachteile erkennbar sind:

Vorteile USB-MikrofonVorteile klassische Lösung mit Mikro, Preamp & Interface
meist preiswerterriesige Auswahl- und Kombinationsmöglichkeit
einfach in der Bedienungflexibler und nachhaltiger bei Defekt und Upgradewunsch
ein einziges Gerät statt mehrererflexibler in der Anwendung
Einzelbestandteile aufeinander abgestimmtMulitmikrofonsetups durch Zukauf möglich
oft komplett mit Poppschutz und Tischstativoft bessere Ergonomie
meist besseres Monitoring
Monitoring über Lautsprecher einfacher möglich
klanglich oft im Vorteil

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Profilbild von AlMagnifico

AlMagnifico sagt:

#1 - 26.04.2018 um 15:56 Uhr

0

Ein weiterer Nachteil, der im Artikel fehlt: DAWs können nur einen ASIO-Treiber gleichzeitig benutzen, wenn man doch mal eine richtige Soundkarte anschließen will, weil man mehr Eingänge oder Ausgänge (geht ja schon beim DJing los) braucht, kann man das USB-Mikro ganz vergessen.

Profilbild von Johannes Weber

Johannes Weber sagt:

#2 - 29.01.2019 um 16:36 Uhr

0

Cooler Artikel. Vielen Dank. Obgleich natürlich sehr kritisch. ;D Es kommt ja noch sehr auf den Verwendungszweck an.
Ich will demnächst ein paar Podcasts aufnehmen. (Es ist keinerlei Equipment für Tontechnik vorhanden.) Anstelle meines 15 € Headsets und dessen Mikrofon hilft mir ein 150 € USB-Mikrofon also schon sehr viel weiter! Ein "richtiges" Mikrofon mit zusätzlichem Vorverstärker und Co. würde ich mir hierfür definitiv nicht kaufen wollen. (Zugegeben ist mein Use-Case aber auch nicht der des Musikers.)

    Profilbild von Nick (Redaktion Recording)

    Nick (Redaktion Recording) sagt:

    #2.1 - 30.01.2019 um 10:31 Uhr

    0

    Hallo Johannes,danke Dir! Natürlich ist er kritisch, der Artikel zeigt bewusst die Schattenseiten, die gerne vergessen werden – und in der Tabelle am Ende findet jeder sicher seine eigene Antwort auf das, was er braucht. Übrigens haben wir auch einen Kaufberater mit konkreten Empfehlungen zusammengestellt: https://www.bonedo.de/artik... Da findest Du vielleicht weitere Anregungen. Weitere Lesetipps für Dein Vorhaben:
    https://www.bonedo.de/artik...
    https://www.bonedo.de/artik...Beste Grüße und viel Erfolg mit Deinem Podcast
    Nick Mavridis (Redaktion Recording)

    Antwort auf #2 von Johannes Weber

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    Profilbild von Morons MORONS!

    Morons MORONS! sagt:

    #2.2 - 06.01.2020 um 00:20 Uhr

    0

    Für einen 100er bekommst du schon ein ziemlich brauchbares Audiointerface (für Podcasts auf jeden Fall) und brauchbare Mikrofone gibt es tatsächlich schon ab 30 Euro. Bleiben noch 20 Euro für den Tischständer übrig.

    Antwort auf #2 von Johannes Weber

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